Seit mehr als 50 Jahren inszeniert er mit wenig Geld und viel Herzblut eigenwillige sozialkritische Dramen und Komödien. Als Teenager saß Mike Leigh oft im Kino und dachte: "Wäre es nicht toll, wenn man einen Film mit Charakteren wie realen Leute machen könnte?" Das hat der außergewöhnliche Geschichtenerzähler immer wieder geschafft. Heute am 20. Februar wird der europäische Erfolgsregisseur 75.

Geboren wurde er 1943 in Manchesters Arbeiterviertel Salford. Der Teenager entpuppte sich als sehr kreativ, deshalb schickt ihn sein Vater, ein Hausarzt, zum Psychiater - um ihn davon zu heilen. Seine Eltern wollten vor allem sozial aufsteigen, erinnerte sich Leigh in dem BBC-Dokumentarfilm "The One and Only Mike Leigh". "Jede Nacht wurde das Leben zu Hause zum Schlachtfeld", sagte Leigh. "Krach um nichts. Aber Dr. Leigh lieferte mir natürlich lebenslang Munition fürs Filmemachen."

Die Halsstarrigkeit scheint in der Familie zu liegen. Einem seiner beiden Söhne drohte der Regisseur einmal: "Wenn du Schauspieler wirst, breche ich dir die Beine" - obwohl er selbst als Schauspieler begonnen hatte. Inzwischen arbeitet Sohn Leo auch als Filmemacher.

Leigh schrieb immer auch für die Bühne und inszenierte zuletzt 2015 "Die Piraten von Penzance" für die English National Opera. Doch in den 70er und 80ern wurde Leigh vor allem mit seinen Fernsehdramen für die BBC bekannt, darunter die Vorstadtsatire "Abigail's Party" (1977) die bei der dritten Ausstrahlung 16 Millionen Zuschauer hatte. Seine Exfrau Alison Steadman spielte die Hauptrolle als ehrgeizige soziale Aufsteigerin. Im Laufe seiner Karriere inszenierte er mehr als 20 Filme, darunter "Nackt" (1993), die Komödie "Happy-Go-Lucky" (2008) und "Another Year" (2010).

Fünf seiner Drehbücher wurden für den Oscar nominiert, seine Regiearbeit zweimal. Bei den Filmfestspielen in Cannes holte er 1996 mit "Lügen und Geheimnisse" die Goldene Palme und 1993 für "Nackt" den Regiepreis, in Venedig 2004 mit "Vera Drake" den Goldenen Löwen. Leigh ist bekannt dafür, dass er mit Schauspielern wochenlang vor den Dreharbeiten improvisiert. In einem Interview mit der BBC beschreibt er den Prozess: "Wenn man zum emotionalen Kern kommen möchte, muss man tief graben, dann destillierst du und organisierst es, und lässt es dann fliegen." Eine sehr aufwendige Art, Filme zu machen - daher kämpft er mit allen Tricks, um Geld zu sparen: Szenen aus großzügig finanzierten Kurzfilmen wurden für Spielfilme wiederverwendet.

Für das historische Abtreibungsdrama "Vera Drake"(2004) konnte er sich nur einen Oldtimer ohne Motor leisten; das Auto rollte einfach bergab. Und sein letzter, mehrfach preisgekrönter Streifen "Mr. Turner" (2014) über den britischen Maler William Turner musste ohne Dreh in Venedig auskommen - die Reise war nicht im Budget.

Sich zur Ruhe setzen wird er noch lange nicht, auch wenn er im Oktober 2017 den Vorsitz der London Film School aufgegeben hat. Sein jüngstes Unternehmen ist "Peterloo", ein weiterer historischer Streifzug; diesmal geht es um das Massaker an unschuldigen Demonstranten in St. Peter's Field in Manchester 1819.

Zehntausende von hungrigen Protestlern forderten das Wahlrecht und eine Parlamentsreform; stattdessen wurden sie von der königlichen Kavallerie blutig niedergeschlagen. Dafür suchte er im vergangenen Sommer Komparsen, die aussehen, als wären sie "müde, überarbeitet, hätten ein hartes Leben und als hätte man ihnen, ehrlich gesagt, übel mitgespielt". Ein typischer Leigh-Film also, der kurz vor dem 200. Jahrestag herauskommen wird.

In einem Interview mit dem "Guardian" gestand er, dass er immer noch gerne seine alten Filme anschaut: "Weil ich sie mag! Wenn du deine eigenen Filme nicht magst, kannst du nicht damit rechnen, dass jemand anders sie mag."