Seit 65 Jahren üben Sie den Beruf der Schauspielerin aus: auf Bühnen, für Film und Fernsehen. Wann reizt Sie eine Rolle noch?
Ingrid Burkhard: Ich nehme nur noch Rollen an, die mich interessieren. Und das sind nicht mehr sehr viele.


Warum haben Sie beim Film „Die Einsiedler“ über ein Ehepaar auf einem abgeschiedenen Bergbauernhof zugesagt?
Der Film hat mich in einer Phase meines Lebens erwischt, in der ich gesagt habe: Es ist jetzt genug. Ich möchte die letzten Jahre meines Lebens in purer Freiheit leben. Dann kam ein Anruf und das Drehbuch. Ich habe es gelesen und fand es faszinierend. Es hatte etwas so Archaisches. Wie eine griechische Tragödie. Wie eine Lawine. Diese Kargheit, diese Landschaft. Dann kam der Regisseur Ronny Trocker zu mir aufs Land. Und klack.


Was hat Sie an der starken, störrischen Bergbäuerin, die den Alltag auf dem Hof nach dem Tod des Mannes alleine stemmt, gereizt?
Seit meiner Kindheit verbringe ich die Sommer in der Wachau. Meine Eltern haben dort 1937 ein Haus gekauft. Es war die pure Armut. Wir waren eine Mittelstandsfamilie, aber gegen die Leute dort waren wir reich. Ich habe mit den Kindern gespielt, sie haben gesagt: Bei euch haben wir zum ersten Mal Tee getrunken und Salami gegessen. Die Kargheit, auch jene im Umgang miteinander, die ist mir nicht fremd. Wer sich zum Krüppel arbeitet, der redet nicht viel. Das habe ich erlebt.


Wie auch den Zweiten Weltkrieg. Als er ausbrach, waren Sie gerade einmal acht Jahre alt ...
Im 1943er-Jahr bin ich mit der Schule wegen der Bombenangriffe verschickt worden. Zu Ostern, 1945, sind wir über die Rax geflohen und haben uns vor den Russen im Wald versteckt. Als ich 14 wurde, war der Krieg gerade aus. Ich war bei einem Bauern in Arbeit. Dort lernte ich, für mich verantwortlich zu sein. Ich habe immer gedacht: Alles, was du einmal machst, kannst du noch einmal brauchen. So war’s. Beim Bauern lernte ich den Umgang mit Kühen. Das habe ich bei diesem Dreh gebraucht.


Der Film wurde von Oktober bis Jänner gedreht – nicht gerade die gemütlichste Zeit in den Bergen.
Es war kalt und finster und ich sehe eh nix in der Finsternis. Wenn der Wind gepfiffen hat, hat es durchgezogen. Die Sonne wurde gemieden. Ich habe immer gesagt: „Auch wenn man stirbt, scheint die Sonne.“ Es musste Regen sein. Hat es nicht geregnet, kam die Feuerwehr und machte welchen. Es war anstrengend, aber auch fein. Und frei.


Woher nehmen Sie die Kraft, so einen Drehtag durchzustehen?
Wenn das der Beruf ist, den man gewählt hat und den man gerne macht, drängt einen das weiter. Ich habe diese Frau für mich übernommen. Der Beruf ist spannend: Man lernt ununterbrochen neue Leute kennen, sammelt Erlebnisse, passt auf. Man erregt sich über etwas und denkt: Das musst du dir merken! So ist es, wenn man sich aufregt. Das hört nie auf.


Welche Rolle spielte die Schauspielerei in Ihrem Leben?
Ich war 56 Jahre lang glücklich mit einem Schauspieler verheiratet. Ich war ein völlig zweigeteilter Mensch: ein privater und ein beruflicher. Ich hüte mein Privatleben wie mein nicht vorhandenes Vermögen (lacht). Ich habe meinen Beruf nie als Karriere betrachtet. Meine Karriere, das war meine Familie. Das war mir das Wichtigste. Heute noch. Obwohl meine beiden Kinder schon über 60 sind und die jüngste Enkelin 24. Das darf ja nicht wahr sein!

Legendäres Ehepaar: Karl Merkatz und Ingrid Burkhard
Legendäres Ehepaar: Karl Merkatz und Ingrid Burkhard © ORF


Als Toni Sackbauer, Gattin von „Mundl“ Sackbauer in der Kultserie „Ein echter Wiener geht nicht unter“, wurden Sie bekannt. Rückblickend betrachtet: War die Rolle Segen oder doch Fluch?
Ich habe mich gefürchtet, dass sie zum Fluch wird. Aber das war nicht so. Ich konnte mich gut daraus retten. Von diesem Moment an lief es. Glück. Gleich danach war ich in Goethes „Hermann und Dorothea“ in der Josefstadt engagiert. Eine Wohltat. Die Toni war ganz einfach zu spielen für mich, a gmahde Wiesn. Noch heute reden mich Leute auf der Straße an und sagen: „Ja, die Toni!“


In den 70ern am Set: Was waren das für Zeiten für eine Frau?
Ich muss sagen: Mir ist nie jemand zu nahe getreten. Ich hätte auch nie jemandem empfohlen, mir nahezutreten. Man muss die Kampagne #MeToo unterstützen. Wenn mir einer auf die Pelle rückt, dann muss ich laut sagen: Der hat das und das mit mir gemacht. Kann sein, dass man dann den Job nicht kriegt. Dennoch muss man sein Gesicht herzeigen. Wir Frauen müssen mit offenem Visier kämpfen. Nicht versteckt.


Haben Sie noch Träume?
Mein größter Traum: Noch ein bisschen alleine und frei mein Leben bewältigen zu können.


Und berufliche Wünsche?
Da müsste schon etwas wahnsinnig Interessantes kommen. Es liegt auf der Hand, dass mir immer Alte angeboten werden. Aber: Immer sind sie krank. Oder debil. Das interessiert mich nicht. Warum soll ich eine Alzheimerkranke spielen? Vielleicht bekomme ich es ja noch.


Sind Sie ein politischer Kopf?
Ja, und ich bin gerade sehr beunruhigt. Ich habe schon einmal einen sinnlosen Krieg erlebt. Das möchte ich nicht noch einmal.