Für "Blade Runner 2049" hängt die Messlatte unvorstellbar hoch. Immerhin hat der erste "Blade Runner" um einen Androidenkiller (Harrison Ford) in der Schaffenskrise stilistisch und erzählerisch Filmgeschichte geschrieben. So optisch und moralisch "noir" waren Science-Fiction-Filme vor 1982 nicht. An diese Vorlage kommt das Sequel, ab Freitag im Kino, leider nicht heran.

Wenn mit Denis Villeneuve ("Arrival") die Speerspitze der philosophisch interessierten Science-Fiction Regie führt, schießt die Fallhöhe allerdings auch ins Unermessliche. Los Angeles im Jahr 2049, 30 Jahre nachdem Blade Runner Deckard mit der Androidin Rachael (Sean Young) durchgebrannt ist: Die Welt ächzt noch mehr. Bevölkerungsdruck, Sprachverwirrung und Unterhaltungselektronik haben sich konsequent fortentwickelt. Die Tücken einer digitalisierten Welt liegen offen zutage. Immer wieder fallen Sätze wie: Das war vor dem Blackout, aus der Zeit haben wir nur lückenhafte Daten - eigentlich hat nur das überlebt, was auf Papier stand.

Replikanten werden jetzt als "biotechnisch hergestellte Menschen" vorgestellt. Nach den Erfahrungen aus Teil 1 sind sie durch künstliche Erinnerungen und verbesserten Gehorsam wirksamer gegen das Meutern gesichert. Replikanten-Hersteller Tyrell ist pleite. Seine riesige Firmenzentrale dient nur mehr als Vorbau zum pharaonengrabartigen Hauptsitz des blinden Visionärs Wallace (Jared Leto). Der will in kapitalistischem Größenwahn Replikanten schaffen, die sich fortpflanzen.

Ein erster natürlich gezeugter Replikant ist bereits 2021 geboren und verschwunden. Wallace schickt seine Allzweckreplikantin Luv (Sylvia Hoeks) auf die Suche. Die Polizistin Joshi (Robin Wright) schickt dagegen den Blade Runner K, um den Mischling zu töten. Ryan Gosling spielt K auf der Spur des Kinds und auf einem erwartbaren, aber überzeugenden Selbstfindungstrip. Gosling ist ja seit "Drive" bekannt für die Rolle des anständigen, verlässlichen, aber still leidenden Anbieters fragwürdiger Dienstleistungen.

Holografische Freundin

Der Film versucht zunächst erfolgreich, optisch und thematisch nicht im Schatten des ikonischen Vorgängers zu bleiben: K fliegt über riesige Solarzellen-Felder (Energiewende) zu einer Eiweißfarm für nahrhafte Maden (Welternährung). Replikanten machen die Dreckjobs und werden von Menschen als "Hautjobs" geschnitten (Rassismus). Und um die Erschaffung künstlicher Erinnerungen ist ein ganzes Berufsfeld entstanden (Kreativwirtschaft). Denkwürdig ist die Nebenhandlung um Ks holografische Freundin Joi (Ana de Armas). Im DNA-Archiv philosophiert sie über den Unterschied, aus vier Gen-Bausteinen zu bestehen oder aus zwei digitalen Zuständen. Und sie lässt sich ganz schön was einfallen, um ohne Körper trotzdem Sex mit K zu haben.

Als all diese konsequenten Weiterführungen beeindruckend in Stellung gebracht sind, vergisst der Film sie aber einfach. Stattdessen reiht er im letzten Drittel in viel zu schneller Folge beliebige Twists und pseudo-tiefgründige Dialoge aneinander. Der gealterte Deckard besäuft sich als Einsiedler mit Hund in einer postapokalyptischen Casinostadt. Und eine aufrührerische Replikantin (Hiam Abbass) mit Privatarmee lässt Ks Selbstfindung wie ein angestochenes Souffle in sich zusammenfallen. Ein so wort- wie bedeutungsloser Endkampf und eine wirklich belanglose Familienzusammenführung runden einen eigentlich aufregend begonnenen Film ab.

Der Gedanke eines neuen "Blade Runner" erschien vielversprechend. Doch hier scheint es, als sei die Geschichte längst auserzählt - nur mehr Posthistorie. Blade-Runner- und Harrison-Ford-Fans seien also gewarnt: Dieser zweite "Blade Runner" sieht zwar toll aus, er ist angemessen aufwendig produziert und gut gespielt. Aber er hätte ein Drehbuch gebraucht, das auch einlöst, was es selber verspricht. Zumal Macher und Crew ja bei jeder Gelegenheit betonen, dass sie alle Blade-Runner-Fans sind. Vielleicht fehlte ihnen am Ende der ausreichend kritische Blick fürs wirklich Großartige.