Gerade einmal 13 Jahre jung war Abdulkadir Tuncer als er beim Türkischen Filmpreis als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde – für seine Rolle als Flüchtlingskind im ebenso preisgekrönten österreichischen Film „Deine Schönheit ist nichts wert“. Nach einer Rolle im Wien-Tatort als jugendlicher Killer an der Seite von Adele Neuhauser und Harald Krassnitzer ist der inzwischen 18-jährige Wiener derzeit im Film „Geschwister“ (Regie: Markus Mörth) auf den Kino-Leinwänden zu sehen. Beim Interview mit der KleinenZeitung zeigt er sich bescheiden: Begleitet wird er von seinem besten Freund. Denn der sei schuld, dass Tuncer überhaupt zum Schauspiel gekommen sei.

An der Seite von Bebe (Ada Condeescu) flüchtet Mikhail (Abdulkadir Tuncer) von Moldawien Richtung Deutschland
An der Seite von Bebe (Ada Condeescu) flüchtet Mikhail (Abdulkadir Tuncer) von Moldawien Richtung Deutschland © Ralf Hahmann
Dreharbeiten zum Austro-Tatort Angezählt. Tuncer (Mitte) u.a. mit Adele Neuhauser und Harald Krassnitzer
Dreharbeiten zum Austro-Tatort Angezählt. Tuncer (Mitte) u.a. mit Adele Neuhauser und Harald Krassnitzer © (c) ORF (Petro Domenigg)

ABDULKADIR TUNCER: Ich weiß noch, wie ein Casting-Team an unsere Schule gekommen ist. Sie suchten einen jungen türkischen Darsteller. Doch ich hatte gar keine Lust hinzugehen. Schließlich hatten wir in dieser Stunde Mathe und Mathe hatte ich gern. Mein Freund Mutlu hat mich gezwungen; aus rund 1000 Gecasteten wurde ich dann ausgewählt.

Sie spielten in diesem Film einen 12-jährigen Kurden. Im Tatort stellten Sie einen Bulgaren dar, nun in „Geschwister“ schlüpfen Sie in die Rolle eines jungen Moldawiers. Wie war das Spiel zwischen den Nationalitäten für Sie?
Eines blieb ja gleich: Ich war beim Film immer der, der traurig ist oder flüchten muss. Ob man nun Türke, Kurde, Bulgare oder Moldawier ist, steht nicht im Vordergrund. Mit ein bisschen Schminke wirst du schnell vom Einen zum Anderen. Schwieriger ist es da schon sprachlich. Im ersten Film war die Aufgabe, dass ich nur gebrochenes Deutsch spreche. Nun bei „Geschwister“ drehten wir in den Originalsprachen. Eine Herausforderung, da ich kein Wort Moldawisch kann, aber wie ein Muttersprachler klingen muss. Das erforderte vom Regisseur Geduld und von mir viel Übung – eine Nacht lang in der Badewanne, Verkühlung inklusive.

In ein Land zu ziehen, ohne die Sprache zu beherrschen, ist Ihnen auch persönlich bekannt. Sie kamen mit drei Jahren aus der Türkei nach Österreich.
Da ich in Graz in den Kindergarten ging und dort Anschluss fand, lernte ich schnell. In der Schule durften wir kein Türkisch sprechen, nur Deutsch – im Nachhinein finde ich das gut, auch wenn es schwierig ist, wenn man bei Fehlern von Mitschülern ausgelacht wird. Wenn mehrere Nationalitäten zusammenkommen, braucht man ohnehin Deutsch. Schwieriger war das schon für meine Mutter, da sie nicht arbeiten durfte. Diese Anfangszeit, in der man sich im neuen Umfeld nicht auskennt, war schon prägend. Davon profitiere ich, wenn ich einen Flüchtling spiele. Auch wenn wir selbst nicht aus politischen oder kriegerischen Gründen nach Österreich kamen – wir folgten meinem Vater, der hier lebte.

Eine der intensivsten Szenen in „Geschwister“ ist jene, in der Sie als Mikhail gemeinsam mit Ihrer Schwester Bebe (Ada Condeescu) auf engstem Raum über die Grenze geschleppt werden. Panik macht sich breit.
Ich war voll in der Rolle drin. In dieser Szene kommt alles aus dem Film zusammen: die Flucht, die Angst, die Erinnerung an die Folter im Heimatland, die Luftnot. Hier konnte ich viel Wut rauslassen – ich musste nur aufpassen, die Kiste, in der wir das gedreht haben, nicht zu zerlegen.
Sie sagten, Sie können sich in die Filmrolle des Flüchtlings hineinversetzen ...
Nach Jahren wären wir auch selbst fast abgeschoben worden. Meine guten Schulnoten haben uns wohl gerettet; in der Türkei hätte ich ja nichts mehr machen können. Einmal durchsuchte die Polizei morgens bewaffnet unsere Wohnung. Vor allem bei meiner jüngeren Schwester kommt das heute noch immer manchmal hoch.

Sie wurden sehr jung mit Filmpreisen ausgezeichnet: bester Hauptdarsteller in Istanbul, bester Jungschauspieler in Ankara, bester Film in Österreich. Die Bild-Zeitung porträtierte Sie nach dem Tatort-Dreh. Wie schafft man es da, nicht abzuheben?
Natürlich habe ich es schon gefeiert, wenn man irgendwas gelesen hat. Doch wenn man Preise bekommt, sagt mir das nicht: Ich bin der Beste, ich brauche nichts mehr erreichen. Ich bin ein Mensch, der gerne arbeitet. Es gibt immer Bessere und man kann selbst immer etwas tun.

Holt man sich hier auch Tipps von gestandenen Kollegen?
Wenn ältere Kollegen Tipps geben, finde ich das gut. Aber letztlich muss ich meinen eigenen Weg gehen.Welchen Weg werden sie künftig bei Filmen einschlagen?
Derzeit gehen sich nur Kurzfilme aus, da ich eine Lehre zum EDV-Systemtechniker und nebenbei die Abendschule für die Matura mache. Auch wenn es gefährlich ist, wenn man länger nicht am Set ist, brauche ich für mich diese Absicherung. Klar, man kann in einem Jahr zehn Filme machen. Aber was passiert, wenn in zehn Jahren nur einer kommt?