Wie kommt man heutzutage auf die Idee, ausgerechnet einen Film über Karl Marx (1818 - 1883) zu machen? Hat nicht der Kommunismus längst ausgedient? August Diehl (41) spielt in dem Porträt "Der junge Karl Marx" (ab Donnerstag im Kino) von Regisseur Raoul Peck aus Haiti die Hauptrolle. In einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur sagt er: Mitnichten!

Ein Film über Marx - ist das zeitgemäß?
AUGUST DIEHL: Oh ja, sogar sehr! Ich glaube, dass wir heute in einer Welt leben, in der sich praktisch der Bogen zu Karl Marx schließt. Was im 19. Jahrhundert anfing mit der Industrialisierung und der Entstehung des Proletariats, das wird jetzt durch den nächsten großen Schritt abgelöst, die Digitalisierung. Insofern haben wir auch das Gefühl, an einer Zeitenwende zu stehen. Nur sind wir der Situation passiver ausgeliefert als die Menschen damals. 

Wie meinen Sie das?
AUGUST DIEHL: Das System ist so rasend schnell geworden und unübersichtlich. Leute, die vorgestern noch in einer Garage gelebt haben, werden über Nacht zu Supermillionären, Start-ups ploppen auf und verschwinden, die Veränderungen überschlagen sich. Vielleicht sind wir nach dem Zusammenbruch des Kommunismus jetzt wirklich an einem Punkt, wo auch der Kapitalismus wackelt oder auf lange Sicht sogar zusammenbricht, wie Karl Marx es prognostiziert hat.

Welche Anzeichen sehen Sie dafür?
AUGUST DIEHL: Eigentlich ist ja schon lange klar, dass es auf Dauer nicht so weitergeht wie jetzt - gerade mit der Verteilung der Güter und der Not in der Welt. Jetzt haben wir die neue Situation in Amerika. Es wird kein Freihandelsabkommen mehr geben, viele Veränderungen kommen auf uns zu. Deshalb werden wir über ein neues System nachdenken müssen, wie wir wirtschaftlich eigentlich leben wollen. Insofern kommt mir der Zeitpunkt, sich mit Karl Marx auseinanderzusetzen, sehr logisch vor.

Es ist eine französisch-deutsch-belgische Koproduktion. Was ist für Sie das Besondere am europäischen Film gegenüber Hollywood?
AUGUST DIEHL: Die Hollywood-Regisseure, die ich kennengelernt habe, waren untereinander sehr unterschiedlich, aber eine Sache hat sie vereint: Keiner von denen hat sich in die Suppe spucken lassen. Jeder hat den Film gemacht, den er machen wollte, manchmal fast ein bisschen maniac-mäßig oder unerbittlich. Aber ich muss sagen, diese Leute gibt es in Deutschland und Frankreich genauso. 

Das Gespräch führte Nada Weigelt