Der aus Buffalo gebürtige William Christie gastierte anno 1971 mit seinem Ensemble „Five Centuries“ und der Sopranistin Barbara Hendricks beim American Institute of Musical Studies in Graz; hier soll er sich entschieden haben, seine Karriere in Europa fortzusetzen. Der Amerikaner in Paris, wo er bis heute sein Basislager hat, eilte fortan von einem Gipfelsieg auf internationalen Bühnen zum anderen. Merkwürdig nur, dass sich Christie in Österreich eher rarmacht(e).

Nun feierte der Altmeister der Alten Musik sein spätes Debüt an der Wiener Staatsoper, mit dem 73-Jährigen sein famoses Orchester „Les Arts Florissants“. Und noch dazu mit einem Stück und einer Titelheldin, die ebenfalls erstmals am Haus am Ring zu hören waren.
„Ariodante“, 1735 in London uraufgeführt, ist eine der beliebtesten Opern Georg Friedrich Händels. Das auf Ariosts Versepos „Orlando furioso“ fußende Drama erzählt von der Liebe des fürstlichen Vasallen zur schottischen Königstochter Ginevra, die durch Intrigen um die Thronfolge gefährdet ist.

Nach der „Alcina“, 2010 von Marc Minkowski erfrischend und von Regisseur Adrian Noble eher statisch umgesetzt, wagte sich die Staatsoper nun nach zuvor ewiger Händel-Abstinenz an ein weiteres Dramma per musica des Sachsen. Und gewinnt nur bedingt. Sieger auf allen Linien sind zweifelsfrei die „Blühenden Künste“ aus dem Graben. Christie und die Seinen liefern in dem für Barockmusik nur bedingt geeigneten Haus Eleganz und Esprit, feinste Nuancen und treibende Kraft – Originalklang in allen Farben und Schattierungen, die man sich nur wünschen kann.

Sarah Connolly hat große Meriten gerade in Barockpartien. Als Ariodante, der erst ein Gefühlslabyrinth durchlaufen muss, bis ihm Thron und Braut sicher sind, ist die 54-jährige Britin zwar firm, ihrem Mezzosopran fehlen aber mitunter Saft und vor allem Konturen in der Tiefe; man denkt sehnsüchtig an das Gurgelfeuerwerk, das Cecilia Bartoli in der Hosenrolle bei ihren Pfingstfestspielen 2017 zündete. Mit Chen Reiss und Hila Fahima sind gleich zwei israelische Sopranistinnen aufgeboten: Die eine berührt mit inniger Lyrik als verzweifelte Ginevra, die andere – ein junges Ensemblemitglied – wird als ihre Dienerin Dalinda mit warmer, aber noch etwas (zu) leichter Stimme zur Spielfigur des hinterfotzigen Polinesso. Christophe Dumaux war als klingenscharfer, wendiger Countertenor schon in Salzburg eine Idealbesetzung für das „Dirty Campaigning“ des skrupellosen Herzogs am Hof, er erntet bei der Premiere den größten Applaus. Der Rest mit Rainer Trost (Ariodantes Bruder Lurcanio) oder Wilhelm Schwinghammer (König) bietet Solides.

Chen Reiss als Ginevra und Christophe Dumaux als Polinesso
Chen Reiss als Ginevra und Christophe Dumaux als Polinesso © Staatsoper/Michael Pöhn



David McVicar setzt wie zuletzt für Verdis „Falstaff“ an der Staatsoper auf unaufgeregt-historisierende Deutungen. Man kann es aber auch wie eine Besucherin aus New Jersey sagen: „A little bit boring.“ Und das lag nicht nur daran, dass sie die vier Stunden am Stehplatz ausharrte. Der Schotte inszeniert zwar korrekt, aber wie aus einem etwas patinierten Regiehandbuch, Rampensingen inklusive.

Lebendig wird es erst in den kommentierenden Tänzen. Die vollführen auch die Burgwände – geschickt variable Kulissen von Vicki Mortimer, die zudem die prächtigen, für das Mittelalter-Drama jedoch anachronistischen Barockkostüme verantwortet. Und nur einmal wagt McVicar eine Brechung: Die Wahnsinnsarie Ginevras, die den Geliebten tot glaubt und sich tot wünscht, lässt der 51-Jährige in eine Danse macabre münden – eine albtraumhafte Barocky Horror Picture Show.

Barocky Horror Picture Show: Danse macabre um eine Frau in der Opferrolle
Barocky Horror Picture Show: Danse macabre um eine Frau in der Opferrolle © Staatsoper/Michael Poehn