Schon der Beginn der Aufführung im Grazer Schauspielhaus lässt keinerlei Zweifel zu. Hier wird auch an bizarrer Komik nicht gespart. Einzeln und brav hintereinander treten die Akteurinnen und Akteure vor den Vorhang, schutz- und winterfest bekleidet, und husten dem Publikum etwas, in unterschiedlichen Grundierungen. Ein Bronchialakt, der in eine gemeinsam angestimmte Hustenorgie mündet. Es ist die Geburtsstunde der Tuberkelpolka, an der sich ein Teil des Publikums emsig beteiligt.

Zwei herausragende Autoren des 20. Jahrhunderts rückten Sanatorien in das Zentrum ihres Schaffens. Der eine, Thomas Mann, schuf in diesem morbiden Umfeld sein imposantes sprachliches Gesellschaftsgemälde „Der Zauberberg“. Der andere, Thomas Bernhard, machte seinen eigenen Aufenthalt in einer Lungenheilstätte zum Auslöser seiner Weltsicht. Eines eint beide Literaten noch. Die offenkundig endlos gültige Zeitdiagnose: „Der große Stumpfsinn“.

Er prägt auch Thomas Manns 1000-Seiten-Epos „Der Zauberberg“, der zurück in die sieben Jahre vor dem Ersten Weltkrieg führt und Randexistenzen konfrontiert; abgeschottet, wie unter einer kugelsicheren Glaskuppel und in einer Parallelwelt lebend, die ihr eigenes Zeitmaß besitzt und jegliche grauenhafte Realität abprallen lässt.

Der deutsche Regisseur Alexander Eisenach (33), Spezialist für Roman-Adaptierungen, nahm sich des gewaltigen Textmassivs an. Derlei Vorhaben oder Anmaßungen münden häufig (und zu Recht) in ein klägliches Scheitern, diesfalls gebührt der großartig geglückten Dramatisierung eine tiefe Verbeugung.

Theater ist immer auch Spiel. Und Eisenach behandelt den Roman wie ein Spiel-Material, das er hellsichtig umkreist, um dann markante Episoden herauszufischen und sie durch eigene Assoziationen, Reflexionen, Texteinschübe in eine Collage zu verwandeln. Fast nichts bleibt in dieser fast vierstündigen Version ausgespart. Nicht die Komik, nicht die Dämonie, nicht die Weltentrückung der Akteure und deren präzise Charakterisierung, nicht das Liebesdrama.

Aus diesem Zauberberg wird ein Haufen Verlorener, die ihre Kümmernisse und Krankheiten mit Jux und Tollerei, mit artistischer Wollust zu genießen scheinen. Die Walpurgisnacht im Roman wird zur völlig schrägen Schlagerparade, aus scheinbar belanglosen Plaudereien werden giftige Wortgefechte, Klamauk weicht der Dämonie.

Ein Theater-Gesamtkunstwerk mit genialen Bühnenbildern, die aus dem Sanatorium einen Speiseraum, ein sakrales Gebäude, ein Spukschloss und einen Bunker zugleich entstehen lassen. Ein optisches Ereignis, ergänzt durch ausgeklügelte Video-Einspielungen, wobei gespenstisch auch Szenen aus Originalfilmen von den Schlachtfeldern auf Kulissen projiziert werden. Eine Inszenierung, die hören, staunen und schaudern lässt. Stets zieht dabei das Schicksal unsichtbare Kurven über all den Geschehnissen; raffiniert schlingen sie sich ineinander über einer Menschenschar, die hartnäckig negieren will, dass sie keinerlei Halt mehr finden kann.

Ermöglicht wird all dies durch ein großartiges Ensemble; fast jeder Akteur, jede Akteurin schlüpft bravourös in mehrere Rollen, in selten erlebter Intensität. Dies gilt von Raphael Muff als Hans Castorp über Vera Bommer, vom Regisseur eingeführt, um die Ereignisse meist lapidar zu kommentieren, bis zu Florian Köhler als Freigeist Settembrini, der brilliert wie nie zuvor.

Von einem anspruchsvollen Bühnenhaus muss man erwarten, dass es nicht nur den Unterhaltungswert hegt, sondern Stücke, Szenen, Passagen, Aussagen Bilder liefert, die sich lange Zeit im Kopf verankern. Dies wird in großem Maße erfüllt. Allein schon durch die diabolische Szene, in der Naphta, der Pauschal-Anarchist, ein Holzkreuz schultert, alle Ideologien, vom Kommunismus bis zum Faschismus, in einen Topf wirft und ein obskures Zukunftsbild daraus mixt.
Er könnte sich auch auf dem Weg in die Gegenwart befinden. Dieses „Weltfest des Todes“ mag trügerisch fern erscheinen. Mit ein Grund, weshalb es ziemlich nahegeht.