Regisseurin Florentine Klepper
Regisseurin Florentine Klepper © Rebolj

Der Komponist E. T. A. Hoffmann hat Mozarts „Don Giovanni“ als Oper aller Opern bezeichnet. Hat er recht?
FLORENTINE KLEPPER: So etwas überlege ich mir nicht, wenn ich ein Stück angehe, denn sonst traue ich mich gar nicht. Also lasse ich erst gar keine Schwellenangst aufkommen. Und hilfreich ist in diesem Fall, dass die Menschen im „Don Giovanni“ sehr modern sind.

Inwiefern?
Ich empfinde diese Gesellschaft als modern in ihrer Suche, das ist etwas, das uns auch heute sehr umtreibt: Leben wir in der richtigen Beziehung? Am richtigen Ort? Sind wir glücklich genug? Sind wir perfekt genug? In diesen Fragen ist die Oper sehr modern. Was sich sicher verändert hat, das sind die Standesunterschiede. Heute darf man sich über die Gesellschaftsschichten hinweg verlieben, trotzdem ist es auch heute noch leichter, wenn man sich in der gleichen PortemonnaieKlasse zusammentut. Aber in dem Gefühl „Ich habe noch nicht alles, was ich zum Leben brauche“ und in diesem Wunsch: „Da muss noch etwas besseres kommen“, darin finde ich das sehr modern.

Ist das ein Phänomen unserer Zeit, dass jeder das Gefühl hat, zu kurz zu kommen?
Eher vielleicht so: „Da geht noch was, da ist noch mehr drin.“ Es gibt ein sehr schönes Buch von Sven Hillenkamp mit dem Titel „Das Ende der Liebe. Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit“. Und da ist folgendes Phänomen beschrieben: Ein Mensch meldet sich bei einem Online-Portal an, lernt jemanden kennen, verliebt sich und bleibt trotzdem registriert. Der schaut sich einfach weiter um, denn es könnte ja noch etwas Besseres kommen. Diese Angst sich festzulegen, dieses in Bewegung sein, dieses Wegwollen und Weiterwollen, das spielt auch in unserem „Don Giovanni“ eine große Rolle.

Auf der Homepage des Stadttheaters gibt es ein Video mit ersten Bildern, da bekommt man das Gefühl, dass Sie die Oper wie ein Roadmovie inszenieren. Stimmt dieser Eindruck?
Wir haben ein Auto auf der Bühne und wir spielen mit dem Mythos des Roadmovie. Aber der Inbegriff der Bühne ist ja ein statischer, das heißt, wir leihen uns das Tempo und den Wunsch nach der Weite, aber das Stück gehorcht trotzdem den statischen Gesetzen der Bühne. Unser Auto auf der Bühne, das steht ja, das fährt ja nicht.

Auch eine Metapher für Ihren „Don Giovanni“?
In dem Sinn vielleicht: Man spürt, man fährt den Karren an die Wand. Man hat einfach falsche Entscheidungen getroffen. Es geht um das persönliche Scheitern, um eine sehr subjektive Höllenfahrt.

Welche Rolle spielt da dann der Komtur?
Das ist die persönliche Leiche im Keller, die einen immer wieder heimsucht. Das Trauma, das einen nicht loslässt.

Was lässt sich über die Sänger sagen?
Wir haben einen wirklich tollen Cast, ich kannte niemanden vorher, aber die Rollen sind sehr schön besetzt. Rodion Pogossov als Don Giovanni ist ein Geschenk, eine richtige Mischung aus Latin Lover und Cowboy. Nicholas Crawley als Leporello ergänzt ihn gut. Auch die Frauenrollen sind sehr gut besetzt, Paola Gardina als „Elvira“ etwas ist ein tolles Gegengewicht zum Don Giovanni.

Apropos Frauen: Im Bereich Film, aber auch Bühne bricht im Rahmen der #metoo-Debatte vieles auf. Wie geht es Ihnen mit dieser Diskussion?
Ich war nie davon betroffen, zumindest nie so, dass ich das Bedürfnis hätte, darüber zu sprechen. Ich empfinde es auch als schwierige Situation, dass da so vieles an unterschiedlichen Missständen durcheinander gemischt wird, von eher alltäglichen Dingen bis zu Straftaten, die wir ja auch im „Don Giovanni“ haben.


Fließt diese Debatte in die Oper ein? Auch Don Giovanni ist ja durchaus übergriffig.

Bei uns gibt es keine klare Opfer-Täter-Front. Ich beginne das Stück nicht mit einer eindeutigen Vergewaltigung. Bei dem Mysterium, was im Zimmer von Donna Anna geschah, da ist Don Giovanni meiner Meinung nach nicht der Einzige, der das wollte. Und auch bei Zerlina ist es so, dass sie lange ihren Teil beiträgt. Dass ein Nein dann ein Nein ist, ist natürlich keine Frage und dass dieser Don Giovanni sich an Frauen abarbeitet, ist auch klar. Diese Problematik muss man aber sehr viel differenzierter diskutieren, als es in einer Oper möglich ist. Hier geht es weniger um die Rechtslage, als um die Einsamkeit und die damit verbundenen Gefühle der Menschen, sodass ich es falsch fände, auf die aktuelle Debatte konkret Bezug zu nehmen.