Seit einem Vierteljahrhundert steht Daniel Barenboim an der Spitze der Staatsoper Unter den Linden. Zum seinem 75. Geburtstag lädt er seinen Freund Zubin Mehta zum Konzert in die Berliner Philharmonie ein. In diesen Tagen denke er oft an Romeo und Julia, wie er in einem dpa-Interview sagt.

Herr Barenboim, zu Ihrem 75. Geburtstag spielen Sie Klavier, Zubin Mehta dirigiert. Was verbindet Sie mit ihm?

BARENBOIM: "Zubin Mehta ist wie von der Familie. Wir kennen uns seit 1956, als wir denselben Dirigentenkurs in Siena besuchten. Er war ein Jahr vorher aus Indien nach Europa gekommen, noch ganz jung, und ich war mit meinen Eltern in Italien, und sie haben ihn aufgenommen. Wir kennen uns damit jetzt seit 61 Jahren und haben nie ein böses Wort für einander gehabt - für zwei Menschen, die den gleichen Beruf ausüben, ist das schon erstaunlich."

Sie werden in der Berliner Philharmonie ein Stück des jungen deutschen Komponisten Johannes Boris Borowski und Beethovens 5. Klavierkonzert spielen...

BARENBOIM: "Ich bin jetzt 67 Jahre auf der Bühne. Deswegen wollte ich meinen Geburtstag mit einem Auftragswerk feiern, eben Borowskis 'Stretta', und es dann auch spielen. Ich mache das nicht aus Pflicht, sondern wähle bei zeitgenössischen Komponisten jene aus, die mich ansprechen. Mit meinen Orchestern, früher in Paris und Chicago, jetzt mit der Staatskapelle in Berlin, habe ich mich vor allem Pierre Boulez und Elliott Carter gewidmet. Das ist auch deswegen notwendig, damit die Orchester mit den Komponisten vertraut werden. Das überträgt sich dann auch auf das Publikum."

Wir sitzen hier in der Barenboim-Said-Akademie, die Staatsoper wurde gerade wiedereröffnet. Was haben Sie noch vor?

BARENBOIM: "Ich möchte etwas für die musikalische Bildung an Schulen unternehmen. Ab dem kommenden Jahr werde ich ein Programm starten, an welcher Schule darf ich noch nicht sagen. Denn wir müssen uns keine Illusionen machen: Wenn wir musikalische Bildung nicht fördern, gibt es in 50 Jahren kein Musikleben mehr. Schon heute gibt es Millionen gut ausgebildeter Menschen, die ganz ohne Kontakt zur Musik aufwachsen. Ich behaupte, mit Musik, die ja ein zentraler Bestandteil unserer Kultur ist, könnten sie besser leben."

Wie war das bei Ihnen?

BARENBOIM: "In Argentinien und später in Israel und Europa habe ich die Verbindung von Musik und Kultur als etwas Selbstverständliches erlebt. Jeder, der Picasso liebte, mochte auch Strawinsky, und wer Schönberg gut fand, mochte auch Paul Klee. Und es gab da noch die Welt der Amateurmusiker, oft Ärzte, die einmal in der Woche zum Musizieren zusammenkamen. Das existiert heute praktisch nicht mehr - leider."

Irgendwann entschieden Sie sich, neben dem Konzertleben ein eigenes Orchester zu gründen und politische Zeichen zu setzen.

BARENBOIM: "Das West-Eastern Divan Orchestra ist kein politisches, sondern ein humanistisches Projekt. Im Konflikt von Israel und Palästina haben wir es nämlich mit einem menschlichen Problem zu tun: Zwei Völker beanspruchen dasselbe Stück Land für sich. Politische Probleme bestehen zwischen Staaten. Deswegen habe ich mit meinem Freund, dem Literaturwissenschaftler Edward Said (1935-2003), das Projekt begonnen. Die Akademie ist die andere Seite der Medaille: Junge Musiker, die meistens nur ihr Instrument üben, sollen hier eine Verbindung zur Kultur und dem intellektuellem Leben bekommen."

Sind Sie da anders groß geworden?

BARENBOIM: "Bei mir ging es in die entgegengesetzte Richtung. Man sagt ja immer, um eine Beethoven-Sonate zu spielen, braucht man eine bestimmte Reife. In meinem Fall war das umgekehrt: Ich habe schon früh zum Beispiel die Sonaten gespielt und damit von der Musik für das Leben gelernt. Dazu kommt, dass mein Vater, der einzige Klavierlehrer, den ich je hatte, Philosophie studiert hatte und ein sehr belesener Mensch war."

Haben Sie als Kind viel gelesen?

BARENBOIM: "Ja, und es ist seltsam, weil bestimmte Assoziationen geblieben sind. In meiner Jugend habe ich zum Beispiel Claude Debussys "Estampes" erstmals gespielt und damals gleichzeitig "Romeo und Julia" gelesen. Gerade spiele ich das dritte Stück davon wieder, weil ich im Jänner mit einem Debussy-Programm auf Tournee gehe. Und wieder tauchen da Romeo und Julia auf."

Denken Sie zurück, ziehen Sie Bilanz zu ihrem Geburtstag?

BARENBOIM: "Nein. Ich glaube an die drei Stufen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Man kann keine Gegenwart erleben und genießen ohne die Vergangenheit und den Blick in die Zukunft. Das gehört zusammen."

Aber Wünsche müssen Sie doch haben...

BARENBOIM: "Ich hätte gerne Macht über meinen körperliche Verfassung. Lange zu leben ohne Lebensqualität, das interessiert mich nicht."