Die Ringparabel kennt jeder, die Geschichte eines Mannes, der seine drei Söhne so sehr liebt, dass er einen kostbaren Familienring, der nur dem Liebling und Erben gebührt, zweifach imitieren lässt und jeden Sohn mit dem Symbol des Auserwählten beschenkt.

Die Erzählung ist das Herzstück von Lessings berühmten Gedankendrama, das die Gleichwertigkeit der Weltreligionen argumentiert. Der Jude Nathan, der in Jerusalem ein Christenkind als seine Tochter aufgezogen hat, erzählt sie dem Sultan, der Geld von ihm braucht. In Lily Sykes zweieinhalbstündiger Grazer Fassung erzählt, fast wie Nathans Echo, dessen Tochter die Parabel parallel dem fränkischen Tempelherrn, der sie aus einem brennenden Haus gerettet hat. Denn bei Sykes ist das Stück nicht nur aufklärerischer Entwurf, sondern vor allem auch Beziehungsdrama. 

Unter einem dichten Wald aus strengen weißen Säulen entfalten sich da in eindrücklichen Tableaux die emotionalen Geflechte, die im Jerusalem der Kreuzritterzeit Juden, Christen, Muslime verbinden, zeigt Werner Strenger den weisen Nathan als hingebungsvolle Vaterfigur, Maximiliane Haß seine Tochter Recha als emotionales Energiebündel und Mercy Dorcas Otieno deren Gesellschafterin Daja als Zerrissene zwischen den Welten. Formt Clemens Maria Riegler aus einem engstirnigen Ritter einen über Glaubensgrenzen leidenschaftlich hinweg Liebenden und Nico Link einen ziemlich intellektuellen Sultan. Überhaupt wartet die zweite große Schauspielhaus-Premiere der Saison mit einer exzellenten Ensembleleistung auf, dem groß aufspielenden Team hätte man aber insgesamt eine etwas energischere Inszenierung gewünscht.