Frau Hering, gestern war Ihre letzte Schauspielpremiere. Können Sie schon eine erste Einschätzung geben: Sind die Salzburger Festspiele tatsächlich so ungewöhnlich, wie immer betont wird, oder ist es business as usual, nur bloß auf zwei Monate verdichtet?

Business as usual ist es in keiner Hinsicht. Das hat auch damit zu tun, dass man mit allergrößter Sorgfalt diese Produktionen zusammengestellt hat und jede einzelne Produktion in einem unglaublichen Fokus der Öffentlichkeit steht. Interessant ist für mich, dass alle fünf Produktionen sehr unterschiedlich wahrgenommen werden. Es wird nicht nur in den Medien, sondern auch auf den Straßen und den Cafés und in der Kollegenschaft heftig über diese sehr unterschiedlichen Regiehandschriften diskutiert.

Diese Heterogenität der Stile war intendiert?

Ich denke, dass es momentan nicht darum gehen kann, alles in einem Guss zu zeigen. Es ist auch nicht klar, welcher das sein sollte. Es ist nicht nur geopolitisch, sondern auch innertheatralisch die Situation sehr divers. Zu zeigen, wie unterschiedlich man Stoffe betrachten kann, ist auch ein Abbild unseres Zustands. Es gibt nicht dieses eine Theater. Und es gibt auch nicht nur dieses eine Publikum.

Das Flaggschiff, der "Jedermann", hatte wetterbedingt gleich einen unglücklichen Start.

Ja, wir mussten die ersten vier Vorstellungen im Großen Festspielhaus spielen. Mittlerweile hat sich die Bilanz aber ins Positive gedreht. Und auch für die heutige Nachmittagsvorstellung sieht das Wetter sehr gut aus.

Für die Neuinszenierung von Michael Sturminger, der dem Stück seinen Mysterienspielcharakter genommen und es ohne barockes Beiwerk ins Heute geholt hat, gab es viel Kritik. Wie zutreffend fanden Sie die?

Ich will jetzt keine Sternchenwertungen abgeben. Mich interessiert: Wie haben wir uns zu einem Stück verhalten und was ist daraus resultiert? Und gerade beim "Jedermann" funktionieren die Vorstellungen wahnsinnig gut und werden sehr gut angenommen. Diese heutige Befragung des "Jedermann" finde ich sehr klug, sehr existenziell und sehr richtig.

Wird an der Inszenierung weitergearbeitet werden?

So wie an jedem "Jedermann". Eine Wiederaufnahme ist immer auch eine Chance.

Wird Sturmingers Inszenierung auch zum 100-Jahr-Jubiläum 2020 gespielt werden?

Dieser "Jedermann" wird ganz sicher drei Jahre, also bis 2019, bleiben. Darüber hinaus möchte ich noch nichts sagen.

Bei Andrea Breths "Geburtstagsfeier"-Inszenierung war der Hauptvorwurf: tolles Handwerk, aber nichts dahinter.

Das empört mich geradezu. Ich finde das eine ganz wunderbare Inszenierung, die den Pinter'schen Geist mit viel absurdem und differenziertem Humor wunderbar auf die Bühne bringt. Dies ist gerade in unserem Thema "Strategien der Macht" unglaublich toll gesetzt.

Bei Gerhart Hauptmanns "Rose Bernd" hatten viele Zuschauer Probleme mit dem Schlesischen als Bühnensprache. War das Stück eine gute Wahl?

Ja, ich bin drüber sehr glücklich. Die Vorstellung hat eine unglaubliche Präzision und Wucht und eine grandiose Lina Beckmann im Zentrum. Ich finde, dass Karin Henkel das Stück genau an dem richtigen Schopf gepackt hat, nicht am Naturalismus, sondern an dieser geschlossen Gesellschaft. Bei jeder Vorstellung gab es Standing Ovations. Die Leute haben sich wirklich reinziehen lassen. Verführen lassen wäre das falsche Wort, denn das Schlesische ist nicht verführerisch, sondern hart und sperrig. Trotzdem habe ich eine große Emphase für diese Figuren entwickelt. Sie sind alles Opfer. Für mich war das ein richtiges Ereignis.

Kein Ereignis war für viele das Experiment mit "Kasimir und Karoline". War es ein Fehler, Partizipationstheater zu den Festspielen zu holen?

Ich finde, das war überhaupt kein Fehler. Und es wurde in der Medienlandschaft sehr unterschiedlich aufgenommen, ebenso wie beim Publikum. Diese Vorstellung ist spröde, hat aber eine absolute Qualität.

"Lulu" wirkte wie eine Kunstinstallation, die Verdreifachung der Titelfigur war problematisch. Wie sahen Sie den Abend?

Für mich erschließt sich Athina Rachel Tsangaris Ansatz im fünften Akt: Lulu löst sich letztendlich in sich selbst auf, ohne Einwirkung von außen. Sie ist vom Stück her prall gefüllt, aber eigentlich eine Leerstelle, eine Projektionsfläche, ein Motor, der heiß läuft, von dem man aber den Treibstoff nicht kennt.

Auffällig war im diesjährigen Schauspielprogramm das Fehlen von zeitgenössischen Texten oder gar Uraufführungen. Wird sich das ändern?

Natürlich wird sich das ändern. Man kann nicht in einem Sommer alles zeigen, was man spannend findet. Dass zeitgenössische Autoren zum Theater gehören, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber gewisse Dinge brauchen auch Zeit.

Wie ist die angestrebte thematische Verzahnung mit dem Opernprogramm aufgegangen?

Für mich persönlich geht da vieles auf. Da hat sich vieles gemeinsam erzählt. Ich finde, dass es auch in der Oper ein breites Spektrum gibt, was die Regie betrifft. Musikalisch ist das ohnedies alles auf einer unglaublichen Höhe. Was ich am meisten bedauert habe, dass ich viel zu wenig Zeit hatte, mir mehr Konzerte anzuhören.

Unmittelbar vor den Salzburger Festspielen sind Sie als mögliche Burgtheaterdirektorin gehandelt worden. Gab's darüber wirklich Gespräche oder war das eine Zeitungsente?

Das waren Enten. Es gab keine Gespräche. Ich fand es ehrenwert, in diesem Zusammenhang genannt zu werden. Es hat aber für mich jeder Grundlage entbehrt, da ich hier gerade erst angekommen bin.