Am Ende schien alles den Atem anzuhalten. Für die Schauspieler tröpfelte verhaltener Applaus, erst als Regisseurin Athina Rachel Tsangari die Bühne betrat, kippte die Publikumsreaktion ins Frenetische: Geschrei, Gejohle, Pfiffe. Festspielpremierenkartenkäufer mögen keine Experimente, und Filmemacherin Tsangari hat für ihre erste Theaterregie dem sonst zuverlässig skandalträchtigen Stück all die schön verruchten Tressen, Quasten, Spitzen so gründlich abgesäbelt, dass vom Gewohnten wenig übrig ist. Das wurde mit heftiger Ablehnung begrüßt.

Wieso die Aufregung? Auf der Pernerinsel in Hallein inszenierte Tsangari als letztes Stück im Schauspielprogramm der Salzburger Festspiele 2017 Wedekinds Sexualdrama als unheimlichen und morbid komischen Gespensterreigen, sparsam beleuchtet und von ominöser Musik getrieben. Lulu, die Femme fatale, das Miststück, das die Männer reihenweise in Tod und Ruin treibt: Von ihr bleibt bei Tsangari wenig übrig. Das Stück, zuletzt meist als protofeministischer Quelltext gelesen, benutzt sie, um die Hauptfigur als ausgewaschene Männerphantasie auszustellen. Der Verschwommenheitseffekt wird durch einen Regiekniff verstärkt: Tsangari lässt die Lulu von drei Schauspielerinnen darstellen, die sich häufig synchron bewegen und chorisch sprechen. Soll heißen: Wir haben es hier nicht mit einem Individuum, sondern mit einem Abziehbild zu tun. Famos, wie Anna Drexler, Isolda Dychauk, Ariana Labed diese komplexe Aufgabe meistern.

Anschauungsobjekt

Famos auch, wie Florian Lösche (Bühne) und Beatrix von Pilgrim (Kostüme) diese im Erzählerischen so reduzierte Inszenierung bebildern. Die Ausstattung stellt die Leere zwischen den Figuren aus und findet dennoch zu opulenten Bildern - etwa, wenn Videoprojektionen einen düsteren Himmel aus Ballons zwischen denn Szenen plötzlich in ein Meer aus zahllosen überdimensionalen Augen verwandeln. Ein Anschauungsobjekt starrt auf das Publikum zurück. Vielleicht hat das ja zur heftigen Publikumsreaktion nach knapp zwei Stunden beigetragen.