Ob als „Zeitfluss“-Impresario oder als Konzertchef in Salzburg, ob als Leiter der Wiener Festwochen: Sie haben stets das Experiment gesucht. Just den erwarteten Höhepunkt Ihrer ersten Salzburg-Saison, Verdis „Aida“, haben Sie einer Opernregie-Debütantin überlassen. Braucht es das Risiko?

MARKUS HINTERHÄUSER: Ja, aber ein kalkuliertes Risiko. Ich versuche, für geplante Projekte ideale Konstellationen zu schaffen, die Spannendes versprechen. Shirin Neshat haben wir als eine Ausnahmekünstlerin mit ganz besonderer Haltung und Ästhetik eingeladen. Mit einer glänzenden Besetzung - unter anderem Anna Netrebko in der Titelrolle und Riccardo Muti als unvergleichlich gutem Verdi-Dirigenten - wird sie die ergreifende Geschichte der nach Ägypten entführten äthiopischen Königstochter samt den politischen Aspekten sehr minimalistisch erzählen. Als wir unser Salzburg-Programm in Paris vorstellten, sahen wir übrigens das genaue Gegenteil davon angekündigt: Plakate für das Riesenprojekt, das Plácido Domingo hätte dirigieren sollen und für das man 90 Sattelschlepper gebraucht hätte, nur um das Bühnenbild hinzustellen. 90 Sattelschlepper!!!

Die pompöse „Aida“-StadionWelttour ist ja Mitte Juni wegen der Insolvenz des Veranstalters geplatzt. Arenen haben immer etwas Einschüchterndes, aber doch auch etwas Packendes. Sind Sie an Fußball interessiert?

Wichtige Spiele schaue ich mir schon gern an. 2014 war ich im Olympiastadion Berlin: Bayern München gegen Borussia Dortmund im DFB-Pokalfinale. 80.000 Zuschauer. Es war kein großes Spiel, aber für jemanden, der theaterinteressiert ist, war das schon vor dem Anpfiff eine unwahrscheinliche Choreografie, atmosphärisch faszinierend. Das sind perfekte Inszenierungen, das stimmt alles bis auf die Nanosekunde.

Haben Sie selber gekickt?

Ja, in der Schule. Das letzte Mal habe ich mich in Salzburg überreden lassen, da gab es ein Match Journalisten gegen Festspielkünstler. Domingo hat mitgespielt, Herbert Prohaska auch. Das war damals schon, auch was mich konditionell betrifft, ein Altherrenkick. Lächerlich! Allein, sich eine kurze Hose anzuziehen, ist vollkommen ausgeschlossen (lacht).

Wie legen Sie denn nun als Salzburger Ihr erstes allein verantwortetes „Heimspiel“ an?

Ich bin Salzburger - aber ich bin überhaupt kein Salzburger. Ich wohne nur schon so lang hier. Es gab eine Zeit, da war ich immer als „der junge Salzburger Pianist“ angekündigt. Irgendwann wurde das „jung“ weggelassen, da war ich „der Salzburger Pianist“. Jetzt bin ich halt der Salzburger Intendant. So viel zu meiner Laufbahn in meiner Stadt. Ich habe ihr natürlich sehr viel zu verdanken. Salzburg ist eine fantastische Stadt, um zurückzukommen. Und die Festspiele führen zu dürfen, ist schon ein großes Privileg. Als ich hier Klavier studierte, waren die Festspiele ja noch etwas vollkommen anderes - ein uneinnehmbarer Kulturkreml, jetzt nicht politisch betrachtet. Da war nicht daran zu denken, dass man jemals in dieses Epizentrum hineinkommen würde.

Sie hätten aber damals wohl viel dafür gegeben ...

Nein, ich habe nicht einmal daran gedacht. Ich bin kein Gerhard Schröder, der seinerzeit am Zaun des Kanzlerbungalows in Bonn gerüttelt und gerufen hatte: „Ich will hier rein!“

Wann hat Sie das erste Mal der Seitenwechsel vom Künstler zum Kulturmanager gereizt?

1991/92, als Tomas Zierhofer-Kin und ich mit dem Zeitfluss-Festival begannen, der Neue-Musik-Schiene der Salzburger Festspiele. Da entdeckte ich, dass mir das Konzipieren und Organisieren Freude macht. Es hat mich schon immer interessiert, intensiv zu kommunizieren. Manchmal habe ich mich selber ein bisschen verlegen gefühlt über die Art und Weise, wie gut das zumindest damals angekommen ist und welch positive Konsequenzen das hatte. Aber ich habe nie eine Strategie verfolgt. Meine Karriere ist bisher einfach ein großes Glück gewesen.

Sie sagen ja gern, „die Salzburger Intendanz ist mir einfach so passiert“.

In letzter Konsequenz gehe ich ja, ob ich nun selber Klavier spiele oder ein Festival führe, stets mit dem Gleichen um - nämlich mit dem, das mich vital interessiert: Musik, Theater, Kunst. Vielleicht ein bisserl unorthodoxer als die meisten, weil mich die Gegenwart genauso fasziniert wie die Geschichte und ich ein Faible für das Zeitgenössische habe.

Sie waren als Kulturmanager von Beginn an in der Schwergewichtsklasse. Und nun sind Sie in der Super-Schwergewichtsklasse, heuer mit gleich elf Opern.

Nein, nein! Das muss man jetzt nicht übertreiben! Das wird sich im nächsten Jahr auch nicht fortsetzen. Konkret gibt es fünf szenische Produktionen, John Eliot Gardiner bringt drei Monteverdi-Opern halbszenisch, der Rest ist konzertant.

Ist es einfacher als Festspiel- Intendant, wenn man wie Sie das System Salzburg schon so lang kennt?

Ich weiß nicht, ob es einfacher ist. Aber es ist zumindest kein Nachteil. Ja, das System ist ganz schön komplex. Und ich kenne es, glaube ich, wirklich gut. Es gibt zwei Möglichkeiten, und das sage ich frei von Polemik, so ein System Salzburg zu kommunizieren: entweder über Namen oder über Inhalte. Ich tendiere sehr zu den Inhalten, und das ist ein nicht ganz leichter Prozess, der auch seine Zeit braucht. Aber ich bin völlig davon überzeugt, dass der Weg letztlich der richtigere ist. Dass man vor allem mitteilt, warum man Projekte macht, warum man sich mit bestimmten Werken und bestimmten Thematiken auseinandersetzt. Mit den Inhalten kommen dann auch die Namen, aber nicht umgekehrt.

Welche wesentlichen Dinge könnten die Salzburger Festspiele in Zukunft noch brauchen?

Schön wäre es, wenn das, was wir in Salzburg machen, immer auch mit unserer Welt zu tun hat. Wir haben nur dieses eine Leben, wir haben kein zweites. Und alles das, was wir jetzt zu bewältigen haben, ist das, was uns ausmacht. Wenn wir schon so einen Riesentanker haben wie die Salzburger Festspiele, dann muss man ihn auch richtig bewegen und eine Form von Vitalität zeigen - Vitalität im künstlerischen, reflektiven, intellektuellen Sinne. Damit unsere Arbeit wirklich mit dem zu tun hat, was wir sind, wer wir sind, warum wir sind und was aus uns werden könnte. Ich glaube, das ist sehr wichtig.

Und die Handschrift und der Kurs des Tankerkapitäns sollen natürlich erkennbar sein.

Wär nicht schlecht, ja. (lacht)

Wie erleichtert waren Sie übrigens darüber, dass der Bundespräsident, der Ihre ersten Festspiele für eröffnet erklären wird, Alexander Van der Bellen heißt?

Sehr. Ich war ja auch in seinem Unterstützerkomitee.

Im letzten Interview mit unserer Zeitung haben Sie noch gefleht, dass es nicht Norbert Hofer werden möge.

Das wäre kein schöner Gedanke gewesen. Van der Bellen passt auch besser zu unseren Inhalten, zu unserem heurigen Motto „Strategien der Macht“, die wir untersuchen und hinterfragen wollen. Passt besser zu allem.