Salzburgs Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler sagte in einem Interview, man habe Sie vom „Jedermann“ erst überzeugen müssen. Stimmt das?
TOBIAS MORETTI: Nach den ersten Anläufen bedurfte es schon einer Definition, wohin diese Übernahme führen sollte – aus der dann ja eine Neuinszenierung geworden ist.


Warum spielen Sie den Jedermann?
Weil es jetzt der richtige Zeitpunkt ist.


Regisseur Michael Sturminger sagt über Sie: „Tobias sieht das als eine der bedeutendsten Aufgaben seines Lebens.“ Stimmt das?
Nein, „bedeutend“ ist da nicht das richtige Wort. Vielleicht hat er gemeint, dass ich mich einfach sehr damit beschäftigt habe. Ist ja auch selbstverständlich, wenn man diese Aufgabe übernimmt. Vielleicht meinte er auch, dass ich mich mehr als für einen Schauspieler üblich in die Arbeit eingebracht habe, in dramaturgischer, ästhetischer und sprachlicher Hinsicht.


Einige Ihrer Vorgänger haben das so beschrieben: Wer den Jedermann spielt, mutiert vom Schauspieler umgehend zum österreichischen Kulturdenkmal. Beschäftigt Sie diese Wahrnehmungsveränderung?
Nein. Das wird wahrscheinlich eine Frage der Zeit sein. Ich glaube, dass unsere Wahrnehmung sich da auch in den letzten Jahren gewandelt hat.


Sind Sie nervös?
Nein, aber ich weiß, dass die Premierenspannung schon noch kommen wird.


Wie läuft die Zusammenarbeit mit Michael Sturminger unter den erschwerten Bedingungen – die Vorbereitungszeit war diesmal ja ausnehmend kurz?
Sturminger, mit dem ich vorher noch nicht gearbeitet hatte, ist ein Regisseur, der ein scharfes Auge für die Intimität von Beziehungen hat. Damit verbunden ist natürlich auch die Konstellation der verschiedenen Figuren, und das war gerade im Anfangsstadium sehr wichtig, um dieser Deklamationsgefahr entgegenzuwirken. Die Salzburger Festspiele haben sich wirklich mit all ihren Möglichkeiten hineingestürzt und diesen Umstand der extrem kurzen Vorbereitung kompensiert.
Hilft es, wenn man – wie Sie den Guten Gesell und den Teufel – auf dem Domplatz schon gespielt hat? Zusatzfrage: Steht man eventuell als Teufel da oben und denkt sich: Der Jedermann, der will ich hier auch einmal sein?
Diese Doppelfigur „Guter Gesell/Teufel“ ist eine mehr als stimmige, eigentlich sogar eine aufgelegte Rolle für einen Schauspieler, den habe ich so gern gespielt, dass ich mir damals nix Anderes gewünscht habe. Bezüglich des Domplatzes ist es ein Vorteil, wenn man ihn kennt, denn er ist schon eine Hürde; andererseits verfügt er über mehr Möglichkeiten des feinen Spiels, als man denkt.
Ist es gut, dass Sie diese Rolle nicht als Jungspund spielen?
Das ist eigentlich nicht wichtig. Die Rolle ist zwischen Mitte 40 und Ende 50 angelegt. Das Wichtige ist, dass der Jedermann einer ist, der im vollen Saft steht und überzeugt ist, dass er selbst den Zenit noch nicht erreicht hat. „Mitten im Leben“ heißt, dass man schon Leben hinter sich und noch welches vor sich hat.
Ihre Buhlschaft Stefanie Reinsperger ist 29 Jahre jünger als Sie. Das entspricht dem gängigen Bild steinreicher Männer und ihrer jungen „trophy wives“, oder?
Da hätten Sie jetzt unsere Konstellation völlig missverstanden. Außerdem ist nichts fader in der Kunst, als triviale mediale Images umzusetzen. Wir haben ja schon mehrfach von einer direkten und besonderen Intimität gesprochen, die das Sinnbild der Muse in diesem Zusammenhang hat. Ich glaube, das ist auch in Hugo von Hofmannsthals Figur angelegt.
Was ist die Schwierigkeit daran, wenn man diese altertümelnde Geschichte zeitgenössisch erzählen will?
Für mich ist der dramatische Faktor immer ein zeitgemäßer. Man kann Klassiker nur im Hier und Jetzt denken, selbst wenn man Stücke historisiert. Insofern war das nie eine Schwierigkeit, auch nicht, bevor ich wusste, dass wir eine Neuinszenierung machen müssen. Für meine Begriffe ist diese Arbeit trotz des Zeitbezugs nicht zu definiert. Es geht nicht um triviale Modernisierung, sondern darum, die Essenz des Stückes nachvollziehbar zu machen.
Nähern Sie sich Ihren Figuren grundsätzlich eher intuitiv oder eher intellektuell – als Bauch- oder als Kopfmensch?
Eines braucht’s noch dazu: das Herz oder wie man so schön sagt: die Leidenschaft, die Passion. Dieses Triptychon provoziert sich selbst immer wieder aufs Neue, sei es zum Erfolg oder zur Erkenntnis.


Warum interessieren wir uns heute überhaupt noch für dieses für seine Sprache, seine Statik, seine Frömmelei so geschmähte Stück? Mit der Tradition allein ist das ja nicht zu erklären, oder?
Die Tradition ergibt sich aus dem Phänomen, und gerade eine Mediengesellschaft tradiert sich immer wieder selbst aufs Neue. Das kann man nirgends besser sehen als in Salzburg. Wenn man das Stück seiner Frömmelei entkleidet, bleibt einfach etwas übrig, was zu Recht besteht und anscheinend kein Ablaufdatum hat.
Am Ende sorgt späte Reue für Jedermanns Rettung. Funktioniert der „Jedermann“, weil wir Ungläubigen uns letztlich doch an solche frommen Erzählungen klammern möchten?
Ich denke, dass der Mensch nicht einmal wirklich weiß, was gläubig oder ungläubig bedeutet, nicht in der gängigen Reflexion. Wie sich ein Mensch in bestimmten Extremsituationen verhält, kann niemand vorausbestimmen, noch weniger vorausdenken und definieren, weder im Überlebenstrieb noch in der Hingabe ans Unvermeidliche. Friedrich Dürrenmatt hat einmal gemeint, seine Figuren würden sich mit der Gottesfrage beschäftigen, weil intelligente Menschen das nun einmal tun – in welcher Weise und mit welcher Erkenntnis auch immer –, und lauter Dummköpfe darzustellen, fände er nicht interessant.
Nächste Saison wird „Jedermann stirbt“ des neuen Bachmann-Preisträgers Ferdinand Schmalz an der Burg zu sehen sein. Interessiert Sie so etwas?
Ja, sicher. Denken Sie, ich schau mir jetzt keine andere Jedermann-Arbeit mehr an, nur weil wir hier eine machen?
Apropos Burg: Wird man Sie dort ab Martin Kušejs Antritt 2019 künftig wieder öfter sehen?
Das kann gut sein, vielleicht sogar schon früher, wer weiß?