Der "steirische herbst" startet heuer am 23. September mit der Produktion "Die Nacht der Maulwürfe" von Philippe Quesne. Intendantin Veronica Kaup-Hasler sprach rund einen Monat vor Festivalbeginn über dessen Motto "Wir schaffen das", die Provokation in der Eröffnungspremiere und warum sie am Höhepunkt das Festival verlassen will.

In rund einem Monat geht es wieder mit dem "steirischen herbst" los - was beschäftigt Sie in diesen letzten Wochen vor dem Start?

KAUP-HASLER: Jetzt gehen wir alle im Team in die Phase der maximalen Betreuung im Vorfeld des Festivals. Presse, Produktion arbeiten auf Hochtouren. In meinem Fall und für meine Kollegen in der Dramaturgie heißt das: Probenbesuche, Gespräche über den Stand der Entwicklung, Auseinandersetzung. Aber all das immer in Hinblick auf Ermöglichung und der konstruktiven Kritik.

Das Thema heuer lautet "Wir schaffen das". Ein optimistischer Ansatz in einer schwierigen Zeit?

KAUP-HASLER: Dieser Satz sitzt wie ein Stachel im Fleisch Europas. Ein Satz mit Sprengkraft, der sehr vieles ausgelöst hat und zu heftigsten Debatten innerhalb der bröckelnden europäischen Gemeinschaft geführt hat. Gleichzeitig erinnert er an etwas, das ein Grundgedanke der EU war: die Verbindung von Ländern zu einer solidarischen Gemeinschaft, in der das Wohl aller - auch der Schutzbedürftigen- im Vordergrund steht. Das ist angesichts der realpolitischen Verhältnisse zugegeben durchaus utopisch und mag naiv klingen - aber ohne Wertedebatte wird Europa nicht überleben.

Wieso haben Sie "Die Nacht der Maulwürfe" von Phillippe Quesne als Eröffnungsproduktion ausgesucht? Graben wir Ihrer Meinung nach derzeit blind im Untergrund?

KAUP-HASLER: Philippe Quesnes Arbeit kann man quasi als kontrapunktischen Auftakt in einem sehr vielfältigen und künstlerisch wie politisch brisantem Programm lesen. Wie in einer Art von dadaistischer Resistance zeigt der französische Regisseur eine Theaterarbeit, in der Maulwürfe als Metapher der Menschen die Bühne bevölkern und einfach vor sich hinleben - Kinder gebären, fressen, saufen, sich amüsieren und mit sinnlosen Tätigkeiten den Tag verbringen. Und ja, natürlich ist das ein böser Blick auf uns, die wir einfach allzu gerne die Augen verschließen, weil wir die Realität nicht mehr aushalten. Die Eröffnungsproduktion provoziert damit auf eine sehr eigene und durchaus poetische Weise.

Was können Sie zur zentralen "herbst"-Ausstellung "Body Luggage" sagen?

KAUP-HASLER: Wir haben die junge indische Kuratorin Zasha Colah eingeladen, einen außereuropäischen Blick auf das Leitmotiv zu werfen, wo es ja um das Verhältnis von Europa zur Welt und die Verschiebung kultureller Kartografien geht. Sie hat sich entschieden, die Frage des Körpers in den Mittelpunkt ihrer Ausstellungskonzeption zu stellen. Wenn Menschen auf der Flucht alles weggenommen werden kann, wird der Körper zum Archiv, sind Erfahrungen und Erinnerung in den Körper selbst eingeschrieben. Ausgehend von historischen Beispielen und aktuellen politischen Ereignissen erkundet die Ausstellung mit Auftragsarbeiten an Künstlerinnen und Künstler aus Europa, Asien und Afrika also Körpersprache als kulturelle Ausdrucksform über die Grenzen von Raum und Zeit hinweg. Darüber hinaus wird auch mit historischem Material gearbeitet, etwa mit dem in Mumbai befindlichen Archiv der im Zweiten Weltkrieg nach Indien ausgewanderten österreichischen Tänzerin Hilde Holger.

Welche Theaterproduktionen würden Sie besonders empfehlen?

KAUP-HASLER: Bei einem derart umfangreichen Programm - wir präsentieren über 100 Produktionen, die großteils erst im Entstehen begriffen sind - ist es eine schwere Aufgabe etwas herauszugreifen. Als eine der Neuentdeckungen möchte ich den jungen deutschen Künstler Julian Hetzel erwähnen, der für eine Woche in einem Grazer Straßenlokal eine "Schuldfabrik" eröffnet, in der er der Frage nachgeht, wie wir aus Schuld Kapital schlagen können. Zu den Highlights gehören zweifelsohne auch größere Theaterproduktionen wie "Guerrilla" der jungen spanischen Gruppe El Conde de Torrefiel und "Empire" von Milo Rau - beides hochbrisante politische Arbeiten, die das diesjährige Leitmotiv widerspiegeln. Oder die Theaterproduktion "Late Night" der Blitz Theater Group aus Athen, die uns in Leibnitz einen tragikomischen Abgesang auf Europa präsentieren werden. Wir freuen uns auf Uraufführungen von Lemm&Barkey, Philipp Gehmacher, Ingri Fiksdal und vielen mehr. Besonders stolz macht es mich auch, dass wir die erste Bühnenarbeit des thailändischen Filmemachers und Cannes-Preisträgers Apichatpong Weerasethakul "Fever Room" koproduziert haben und als Erstaufführung im deutschsprachigen Raum präsentieren werden.

Nach diesem "herbst" wird die Leitung des Festivals für die Zeit ab 2018 neu ausgeschrieben. Sie haben bekanntgegeben, dass Sie sich nicht mehr bewerben werden. Neue Pläne oder einfach die Möglichkeiten dieser Form ausgereizt?

KAUP-HASLER: Ich habe schon bei meiner letzten Verlängerung klar gemacht, dass ich darüber hinaus nicht mehr zur Verfügung stehe. Den steirischen herbst so lange weiterzuentwickeln und trotz schwieriger Voraussetzungen erfolgreich leiten zu dürfen, war und ist eine große Freude. Das positive Echo von Künstlern, internationalen Kollegen, Medien, Publikum und ist einfach überwältigend. Und gerade weil das so ist, bin ich überzeugt, dass man am Höhepunkt gehen und bereit für neue Herausforderungen sein sollte. Man muss bedenken, dass niemand zuvor das Festival so lange - zwölf Jahre - geleitet hat.

INTERVIEW: KARIN ZEHETLEITNER/APA