Die Salzburger Festspiele 2016 sind eröffnet.Die Festrede hielt der Kulturphilosoph Konrad Paul Liessmann, am Abend geht mit der Uraufführung "The Exterminating Angel" von Thomas Ades nach dem Bunuel-Film "Der Würgeengel" die erste Oper im Haus für Mozart über die Bühne.

Unter dem sinngemäßen Motto "Träume, die vielleicht zum Erwachen führen" werden bis 31. August 192 Aufführungen in 41 Tagen an 14 Spielstätten geboten. Auf dem Opernprogramm stehen insgesamt drei Neuinszenierungen, im Schauspiel bringt der scheidende Intendant Sven-Eric Bechtolf mit "Endspiel" von Samuel Beckett, "Der Sturm" von William Shakespeare und "Der Ignorant und der Wahnsinnige" von Thomas Bernhard drei gewichtige Stücke auf die Bühne.

Festrede


 Unter dem Titel "Und mehr bedarfs nicht. Über Kunst in bewegten Zeit" hat Kulturphilosoph Konrad Paul Liessmann in seiner Festrede zur Festspieleröffnung die Frage gestellt, ob es in Zeiten von Terroranschlägen und Bürgerkriegen noch möglich sei, sich ruhigen Gewissens der Kunst hinzugeben. Das sei durchaus berechtigt, so Liessmann. Ein gelungenes Kunstwerk genüge, um dem Leben Sinn zu geben.

Eine wunderbare Formel für die Kunst wäre "Gelingen aus Freiheit", sagte der österreichische Philosophieprofessor. Und zwar dadurch, dass sie auf diesem Prinzip beharre und dass sie die Maßstäbe für das Gelingen nur ihren eigenen Ansprüchen und keiner anderen irdischen oder gar göttlichen Macht verdanken wolle. Das, was der südamerikanische Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa kürzlich über die Literatur gesagt habe, nämlich ihre "bloße Existenz ist schon eine Manifestation von Rebellion", gelte wohl auch für die Kunst. Liegt in der Freiheit der Kunst nicht auch ein politisches Programm?, fragte Liessmann.

Das Pathos, das die Kunst der Moderne kennzeichne und dem sich alle großen ästhetischen Errungenschaften des 19. und 20. Jahrhunderts verdankten, liege in diesem Anspruch auf Autonomie, auf Selbstgesetzgebung, auf Unabhängigkeit von Märkten, Ideologien und Religionen. "Und etwas davon spüren wir jedes Mal, wenn wir in einer gelungenen Aufführung eines Konzertes, eines Theaterstücks, einer Oper das Gefühl haben, dass es genau das ist, um dessentwillen es sich zu leben lohnt, dass es genau diese Erfahrung ist, die einen Reichtum in sich trägt, der alles andere, wie bedeutsam, erschreckend oder gewichtig es auch erscheinen mag, verblassen lässt."

Liessmann warf in seiner Festrede viele Fragen auf. Ist die Erfahrung einer gelungenen Aufführung nicht eine Flucht aus der Wirklichkeit, eine Betäubung? Ginge es gerade in Zeiten der Krisen nicht darum, in der Kunst eine Möglichkeit zu sehen, in die Wirklichkeit einzugreifen, einen Beitrag zu leisten zur Veränderung der Gesellschaft in Hinblick auf ein Mehr an Humanität, Toleranz und Gerechtigkeit? "So hart es auch klingen mag: Die Kunst ist das eine, die politische Moral das andere."

Bildungsfrage

Liessmann brach eine Lanze für das Ästhetische in der Kunst und warnte vor deren Vernachlässigung zugunsten politischen Aktionismus. Auch hob er die Bedeutung der Kunst für die Bildung hervor. Es genüge nicht, dass junge Menschen jene Kompetenzen erwerben, die sie fit für die Arbeitswelt der Zukunft machen und nur deshalb Mozart hören, weil es sich herausstellen könnte, dass dies das innovative Denken fördert und bei der Gründung von Start-ups Vorteile verschafft. "Wer so denkt, denkt falsch. Bildung ohne ästhetische Erziehung ist keine Bildung." Wenn Lehrer nur eine einzige jugendliche Seele für die Kunst begeistern können, "dann haben sie das ihrige getan. Und mehr bedarfs nicht."

Der kritische Impuls von Kunst der klassischen Avantgarden habe sich verbraucht, die großen Ideen zu einer revolutionären Veränderung der Gesellschaft würden kaum noch von Kunst erwartet.

Krisen und Konflikte

Wie schon in den Jahren zuvor nahmen die Redner am Podium der Felsenreitschule bei der offiziellen Festspieleröffnung auch zu aktuellen Konflikten und Krisen Stellung. Nationalratspräsidentin Doris Bures, die in Ermangelung eines Bundespräsidenten die Eröffnung vornahm, zeigte sich erschüttert über den "mörderischen Terror, der zu einem Teil europäischer Lebensrealität" geworden sei. Gleichzeitig würden Entwicklungen des gesellschaftlichen Fortschritts stagnieren. Europa brauche in diesen herausfordernden Zeiten Gemeinsamkeit, Vertrauen, Träume und Ziele. Die Angst, "die unserer Zukunft Grenzen setzt", müsse überwunden werden, sagte die Nationalratspräsidentin.

Friedensprojekt EU

Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) wies in seiner Rede auf seine Fragestellung "Wie sehr verwandelt Veränderung?" daraufhin, dass hinter der Idee der Europäischen Union das größte Friedensprojekt der Geschichte stehe, das die Würde des Einzelnen in den Mittelpunkt allen staatlichen und gesellschaftlichen Handels stellt.

Kulturminister Thomas Drozda (SPÖ) meinte, dass Europa derzeit als Projekt der ökonomischen und intellektuellen Eliten wahrgenommen werde. "Das muss sich ändern, wenn das gemeinsame europäische Projekt auch weiter Bestand haben soll." Dazu sei auch ein "hervorragendes, menschliches" Bildungssystem erforderlich, das gegen destruktive antidemokratische Populisten immunisiere. Zweitens sei ein gesellschaftlicher Zusammenhalt notwendig. Ziel der Politik müsse es sein, ein Leben der Menschen in gegenseitigem Respekt, in Würde und Anstand zu ermöglichen. Der Staat sei auch für die freie Entwicklung und Finanzierung der Kunst und die Kunstvermittlung verantwortlich, und dafür wolle er als Minister kämpfen.

Seelenfenster

Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler, die dem Mozarteum-Orchester zum 175-Jahre-Jubiläum gratulierte und bei der Begrüßung der Ehrengäste meinte, dass der anwesende Ex-Bundespräsident Heinz Fischer mit seiner Frau Margit immer noch "aus bekannten Gründen unser starkes First couple" sei, stellte die Frage in dem Raum: "Würden wir nicht gerne - wenn nicht unsere Seelenfenster - zumindest unsere Ohren und Augen verschließen vor dem Grauen in Fern und Nah?" Als eine Antwort darauf verwies sie auf Richard Strauss, dem Kritiker "Weltflucht" vorwarfen, als er mitten im Zweiten Weltkrieg seine Oper "Die Liebe der Danae", eine heitere Mythologie, geschrieben hatte. Strauss rechtfertigte sich damit, dass ihm die antike Mythologie subtile Deutungsmöglichkeiten für moderne Probleme, persönlicher oder politischer Art, böte.

Ehrengäste

Für die musikalische Umrahmung in der Felsenreitschule sorgte das Ensemble Franui Musicbanda und das Mozarteumorchester Salzburg. Auf der Ehrengästeliste standen auch Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein mit seiner Frau Sophie, die Außenminister von Liechtenstein und Slowenien, Aurelia Frick und Karl Viktor Erjavec, und der Präsident der Lombardei, Roberto Maroni. Eingeladen waren auch Botschafter aus einigen europäischen Ländern sowie China und Vertreter der österreichischen Bundesregierung. Die Sicherheitsmaßnahmen und das Polizeiaufgebot waren offensichtlich größer als in den Jahren zuvor. Die Festveranstaltung wurde live auf ORF 2, 3sat und auf die LED-Leinwand am Kapitelplatz in Salzburg übertragen.