Mit der Verleihung des Großen Schauspielpreises an Ingrid Burkhard ist am Dienstag in der Grazer Helmut-List-Halle das Filmfestival Diagonale eröffnet worden. Die Intendanten Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber erinnerten an den "sogenannten Anschluss an Hitlerdeutschland" und verwiesen auf den Eröffnungsfilm "Murer - Anatomie eines Prozesses", der im "postnazistischen Graz 1963" spielt.

Ingrid Burkhard wurde mit einem von Toni Schmale gestalteten Kunstwerk ausgezeichnet. Die Schauspielerin erlangte als Toni Sackbauer in der Fernsehserie "Ein echter Wiener geht nicht unter" großen Bekanntheitsgrad, war aber auch für Maren Ades Welterfolg "Toni Erdmann" im Einsatz. Aktuell ist Ingrid Burkhard in Ronny Trockers "Die Einsiedler" im Kino als Bergbäuerin Marianne zu sehen.

Klare Worte als Zeitzeugin: Preisträgerin Ingrid Burkhard
Klare Worte als Zeitzeugin: Preisträgerin Ingrid Burkhard © Ballguide/Repelnig

Die Rede in Zitaten

Die Diagonale-Intendanten erläuterten in ihrer Eröffnungsrede, dass der Prozess, um den es in Christian Froschs Eröffnungsfilm geht, laut Simon Wiesenthal "ein Zerrbild der Gerechtigkeit" gewesen sei, der die "Opferfassade der österreichischen Nachkriegsjahre porös werden lässt." Selten sei die österreichische Seele "derart zur Kenntlichkeit entstellt", hieß es in der Rede. Froschs Rekonstruktion der damaligen realpolitischen wie gesellschaftlichen Stimmung mache augenfällig, dass der radikale Bruch mit dem Denken, das zum Holocaust führte, hierzulande ausblieb.

Man möchte sich aber ausdrücklich dagegen verwehren, "den Film auf plumpe tagespolitische Analogien zu reduzieren. Vielmehr ist 'Murer' ein ideologiekritischer Film, ein Kunstwerk mit realer zeitgeschichtlicher Handlungsvorlage, das nicht darauf abzielt, Spiegel der Zeit zu sein, sondern versucht, die Nachkriegsstimmung visuell zu repräsentieren und vor allem zu reflektieren", betonten die Intendanten. Denn "wer in der aktuellen Politik eins zu eins eine Wiederholung der Geschichte sieht, hat nichts verstanden und spielt der Verharmlosung in die Hände". Umso dringlicher sei hingegen die deutliche Kritik an antidemokratischen und antiliberalen Tendenzen, die allerorts immer mehr den Ton angeben würden.

Eine "Lanze für Politik in der Politik"

Höglinger und Schernhuber erklärten, sie möchten "zum Auftakt dieses Filmfestivals also eine Lanze dafür brechen, in der Politik zur Politik zurückkehren. Als Auseinandersetzung mit Argumenten, im respektvollen Streitgespräch, durch Meinungspluralismus wider den widerwärtigen Opportunismus.

Volles Haus in der Helmut-List-Halle
Volles Haus in der Helmut-List-Halle © Ballguide/Repelnig

Mit einer Haltung, die jenen aktiv Paroli bietet, die Kommunikation pauschal torpedieren und Eigeninteressen über Meinungsaustausch stellen. Mit einer Haltung, die jenen aktiv Paroli bietet, deren Gesprächsführung ausschließlich ein heuchlerisches, taktierendes und durchschaubares Machtspiel ist." Möglicherweise würden genau diese Überlegungen zurück zum Kino, zurück auf die Leinwand führen: "Dorthin, wo eine Gegenbewegung zu vorschneller Meinungsäußerung passieren kann, die sich auch für das alltägliche Zusammenleben fruchtbar machen lässt: Der genaue Blick, die präzise Analyse und die stille Beobachtung, in der die Gedanken auch mal ruhen dürfen, bevor Schlüsse gezogen werden, sind nämlich nicht selten Sache des Films", schlossen die Intendanten.

Bis 18. März bietet das österreichische Filmfestival Diagonale wieder eine Fülle von Spiel-, Dokumentar-, Kurz- und Experimentalfilmen. Insgesamt stehen heuer 167 Produktionen auf dem Programm.

Einstimmig: ein wichtiger Film

Was Christian Frosch im Eröffnungsfilm präzise aufrollt, den Freispruch des „Schlächters von Wilna“ 1963 in Graz, füllte zuletzt nicht nur nationale und internationale Medien, sondern verdrängte auch Small-Talk-Themen. „Ich habe mir die Premiere hier in Graz gewünscht“, sagt Frosch.

Eines habe der Film bereits erreicht: „Man kann jetzt schon sagen, dass der Name Murer deutlich bekannter ist.“ Sein Team feierte die Premiere mit ihm: Hauptdarsteller Karl Fischer mit seiner Frau und Schauspielkollegin Susi Stach, Gerhard Liebmann, Alexander E. Fennon und Karl Markovics. Dieser verkörpert im Film Nazi-Jäger Simon Wiesenthal. Was sagt er zur Premiere in Graz? „Fragen Sie das doch jene Politiker auf Stadt- oder Landesebene, die nicht gekommen sind!“ konterte er.

Wer fehlte

Gemeint waren an vorderster Stelle der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl und sein Vize Mario Eustacchio. Nagl ließ sich durch Stadtrat Kurt Hohensinner vertreten, der die Eröffnung aber vor Filmbeginn verließ. Die Politik war vertreten u.a. durch LH Hermann Schützenhöfer, Landesrätin Ursula Lackner, Landtagspräsidentin Bettina Vollath oder Kulturlandesrat Christopher Drexler. Der bezeichnete den Film als „wichtigen Beitrag zu einer weiteren Aufarbeitung, gerade am Tag nach der Gedenkfeier zum 12. März 1938.

Schützenhöfer ließ mit einem Statement aufhorchen. Der Eröffnungsfilm zeige, "dass diese düstere Zeit unserer Republik noch nicht gründlich aufgearbeitet wurde. Aus diesem Grund habe ich auch gefordert, dass sich eine überparteiliche internationale Kommission damt beschäftigen sollte, die Vergangenheit unserer Republik, der Parteien und Institutionen aufzuarbeiten."

Auch die Film- und Kulturbranche war traditionell stark vertreten: Nicht entgehen ließen sich die Eröffnung u.a. die neue herbst-Intendantin Ekaterina Degot, Joanneum-Direktor Wolfgang Muchitsch, Kunsthaus-Chefin Barbara Steiner, GrazMuseum-Chef Otto Hochreiter oder die Produzenten Veit Haiduschka, Dieter Pochlatko.