Gesellschaftspolitisch engagiertes Kino nimmt im österreichischen Film einen hohen Stellenwert ein - und wird vom Publikum angenommen, wie zuletzt Dokus wie "Bauer Unser" und "Das Leben ist keine Generalprobe" an den heimischen Kinokassen bewiesen haben. Bei der noch bis Sonntag laufenden Diagonale kommen komplexe, heiß diskutierte Sachverhalte in unterschiedlichster Machart auf die Leinwand.

Von der gestalterisch konventionellen Herangehensweise an den Kampf gegen Ungleichheit über die Inszenierung der Weltklimakonferenz als Katastrophenfilm bis hin zur essayistischen Abhandlung von Pränataldiagnostik: Folgend eine Auswahl an empfehlenswerten Filmen, die in Graz dieser Tage Premiere feiern.

Guardians of the Earth

Fünf Protagonisten der Weltklimakonferenz von Paris 2015 (COP21) lässt der gebürtige Pole Filip Antoni Malinowski in der Uraufführung von "Guardians of the Earth" zu Wort kommen - fünf von Hunderten Teilnehmern, Experten, höchstrangigen Politikern. Betroffene vom Klimawandel sind sie alle. Der Doku-Titel gibt sich wie eine Jobbeschreibung einer Superheldenliga, und auch die Inszenierung kommt einem Kinostreifen über eine nahende Katastrophe nahe: Malinowski zählt bei der Konferenz in Paris die Tage vom 30. November bis zum 12. Dezember 2015 herunter wie bei einem Raketen-Countdown - oder einem Meteoriteneinschlag. Ihm gelingt das Kunststück, so ziemlich alle bekannten Aspekte von fossilen Brennstoffen, Industrie-Lobbying und Kampf der "Kleinen" um Aufmerksamkeit abzubilden. Wenn der Film in die Kinos kommt, ist bereits die zweite Folgekonferenz nach Paris im Laufen - Anfang bis Mitte November in Bonn - COP 23. Den Vorsitz wird Fidschi führen - einer jener Inselstaaten, die die Auswirkungen als erste zu spüren bekommen. (Weiteres Screening beim Festival: Heute, Freitag, 13.30 Uhr im Schubertkino)

Die dritte Option

Kommt ein Kind mit einer schweren geistigen oder körperlichen Beeinträchtigung zur Welt, gilt es, Leid zu lindern oder in seltenen Fällen zu heilen. Vor der Geburt gibt es eine weitere Möglichkeit: die Tötung des Fötus. "Die dritte Option" nennt Thomas Fürhapter seinen Dokumentarfilm über Pränataldiagnostik und späten Schwangerschaftsabbruch - komplexe Themen, die in seinen Augen zumeist auf eine individualisierte und moralische Frage reduziert werden. Sein filmischer Essay hebt die Diskussion auf eine gesellschaftspolitische Ebene, stellt vermeintlicher Entscheidungsfreiheit den gesellschaftlichen Drang nach Selbstoptimierung gegenüber und verhandelt Fragen rund um Ethik und Norm. Auf Bildebene reihen sich Plansequenzen gesunder, "normaler" Körper im Wellenbad oder im Fitnesscenter an Aufnahmen der berührenden, individuellen Betreuung behinderter Kinder; im Off geben Sprecher Aussagen und Diskurse von Wissenschaftern sowie Erfahrungsberichte von Eltern wieder. Indem Fürhapter eine Text-Bild-Schere herstellt, keine O-Töne verwendet und die Bilder nüchtern und distanziert komponiert, entnimmt er dem sehr schwierigen Thema seine Emotionalität und erweitert den bekannten Diskurs sorgsam um spannende Fragen, die uns alle etwas angehen. Ein herausfordernder Film, der bei seinem Kinostart im Herbst bestimmt für Diskussionen sorgen wird. (Weiteres Screening: Morgen, Samstag, 11 Uhr im UCI Annenhof)

Free Lunch Society - Komm Komm Grundeinkommen

Weitaus klassischer ist da Christian Tods Dokumentarfilm zur Idee des bedingungslosen Grundeinkommens gestaltet. Mit dem Titel "Free Lunch Society" nimmt er auf eine Aussage Ronald Reagans Bezug, der die Vision der Ressourcenumverteilung auf jeden einzelnen Bürger einst mit dem Satz "There is no such thing as free lunch" als Spinnerei abtat. Tods Ansatz: Im 21. Jahrhundert, in dem der technologische Fortschritt und die Automatisierung Menschen Jobs kosten, bedarf es neuer Modelle. Also zeigt er den Erfolg historischer oder aktueller Testläufe von Alaska bis Namibia und Initiativen wie eine Berliner Grundeinkommen-"Lotterie" auf, lässt langjährige Verfechter wie dm-Gründer Götz Werner zu Wort kommen und dringt zum Kern der reflexartigen Ablehnung vor: dem Misstrauen gegenüber anderen, die das ja nur ausnutzen und sich auf die faule Haut legen würden. Montiert in Kapitel und mit erläuterndem Off-Kommentar ergänzt, hält "Free Lunch Society" als gute Einführung in das Thema her und stellt dem Zuseher direkt die Frage, was er oder sie denn täte, würden Einkommen und Arbeit entkoppelt. Die Antwort darauf, wie genau das finanzier- und umsetzbar wäre, bleibt der über weite Strecken oberflächliche Film aber schuldig. (Screenings: Heute, Freitag, 15 Uhr im UCI Annenhof und 1. April, 11.15 Uhr im Schubertkino. Talk zum Thema heute um 17.30 Uhr in den Minoriten Graz)

APA/ Angelika Prawda und Peter Kolb