Das ist das vielleicht größte Dilemma von Glamour: Es erzeugt zwar den schönen Schein, aber nicht zwingend auch eine Aura. Die ist nämlich erstens schwer zu benennen und zweitens noch schwerer zu fassen. Aber zumindest einer hat das richtige Händchen dafür: Peter Lindbergh. Den muss man nicht extra vorstellen: Der Magier mit Kamera - weniger Starfotograf, denn dafür wird das Wort zu oft und zu inflationär gebraucht - hat mit seinem Bildband „Shadows on the Wall“ dem etwas entgegengesetzt, was er selbst gern als „Schönheitsterror“ bezeichnet. Rund 37.000 Fotos von Hollywood-Stars hat der 73-Jährige für den Pirelli-Kalender 2017 angefertigt, der Bildband ist so etwas wie die Doktorarbeit dazu. Lindbergh, der Teil der Modebranche ist, aber immer auch einer ihrer größten Kritiker war, weiß auch, woran sie krankt. Seine Diagnose: „Alles Unvollkommene ist verschwunden. Und das lässt nur leere Gesichter übrig.“

Seine Therapie schaut anders aus als die Standardbehandlung der Schönheitsindustrie: kaum Make-up, aber Nahaufnahme. Wie Charlotte Rampling da so sitzt - man könnte die einzelnen Sommersprossen zählen. Oder Nicole Kidman, bei der jedes Augenfältchen, jedes Härchen auf dem Arm fast greifbar ist. Oder Kate Winslet, die konzentriert, aber nicht inszeniert in die Kamera blickt. Lindbergh selbst hat bei der Präsentation der Kalenderbilder sein Grundmotiv erklärt: „Das ist eine andere Art der Nacktheit, die viel wichtiger ist als nackte Körperteile.“

Kate Winslet
Kate Winslet © Peter Lindbergh

Gerade für Hollywood-Stars, die sich in den meisten Fällen der Hochglanz-Retuschierpolizei unterwerfen, ist das wohl keine ganz so leichte Übung. Aber keine wirkt wie eine ungesicherte Seiltänzerin, die Angst vor dem Absturz hat. Es mag auch daran liegen, dass Peter Lindbergh ein Teamplayer ist. Wenn Stars über ihn schwärmen, dann sind das keine süßen Bekenntnisse, die man mit gekreuzten Fingern unterm Scheinwerferlicht einer Society-Kamera schwört, sondern Komplimente. So erzählt etwa Rooney Mara über die Zusammenarbeit mit dem Fotografen: „Er versucht nicht, etwas aus einem herauszuholen, was nicht schon da ist. Es geht immer um einen selbst, nicht um eine Rolle, die man spielt. Er will immer dich selbst fotografieren.“

Peter Lindbergh
Peter Lindbergh © Stefan Rappo

Ob das nun Kunst ist, ist dem Deutschen mit polnischen Wurzeln eigentlich ziemlich egal, ihm geht es um Veränderung. Seine wichtigste Verbündete war über Jahrzehnte die im Dezember 2016 verstorbene Chefin der italienischen „Vogue“, Franca Sozzani. Kein Tag vergeht, ohne dass er auf seinem Instagram-Account (@therealpeterlindbergh) unter #DedicatedToFranca Bilder von gemeinsam erdachten Fotoprojekten veröffentlicht. Beide einte das Bestreben, der Modeindustrie den hochglanzpolierten Lack abzukratzen, auf dass der schöne Schein verblasst und die Wirklichkeit mit all ihren Facetten durchschimmern kann.

"Shadows on the Wall" von Peter Lindbergh
"Shadows on the Wall" von Peter Lindbergh © Peter Lindbergh/Taschen Verlag