Ihr Roman „Der Gott der kleinen Dinge“ war eine literarische Großtat, mit der sie ihrem Heimatland ein unverwüstliches Denkmal gesetzt hat. Jetzt, 20 Jahre später, hat Arundhati Roy wieder in die Fülle dieses betörend schönen und verstörend zwiespältigen Kontinents gegriffen und daraus einen Roman geschält, der den Verlorenen und Vergessenen geschuldet ist.

„Für die Ungetrösteten“. Auch ihnen ist dieses Buch gewidmet und sie bevölkern es. Wobei ungetröstet nicht mit trostlos verwechselt werden darf. Denn sie finden ihn letztendlich, diesen Trost, die Ungetrösteten in Roys Roman; all die Menschen, die im erstarkenden Indien zu schwach sind, um mit dem kapitalistischen Mainstream mitzuhalten. Arundhati Roy, nicht „nur“ eine begnadete Geschichtenerzählerin, sondern auch eine engagierte Polit-Aktivistin, pflanzt das Kind Aftab ins Leben und Geschehen ihres neuen Werkes. Die Eltern sind erfreut über den Buben, auf den sie so lange warten mussten, doch bald entdeckt die Mutter hinter dem Jungen „ein kleines, nicht voll entwickeltes, aber doch, ein Mädchen.“ Aftab ist also eine Hijra, sie gehört dem dritten Geschlecht an, und die bewegte und zutiefst bewegende Geschichte dieser bizarren Kämpferin zieht sich wie ein vielfärbiger Faden durch dieses pralle Lebensbuch.

Arundhati Roy. Das Ministerium des äußersten Glücks. Fischer, 560 Seiren, 24 Euro.
Arundhati Roy. Das Ministerium des äußersten Glücks. Fischer, 560 Seiren, 24 Euro. © KK

Die gespaltene Vita der Hauptfigur spiegelt die zerrissene Identität des Landes wider. Roy ist wild ausufernd im Personal, die Verästelungen enden mitunter im Nirwana. Die Stärke des Buches ist gleichzeitig auch seine Schwäche: So viele Welten und Wehen prallen hier aufeinander, dass das einzelne Schicksal im Tohuwabohu der Geschehnisse unterzugehen droht. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Denn vor allem ist dieser Roman ein Lesevergnügen, das äußerst glücklich macht.