Die Antihelden von Doris Knecht, sie fühlen sich vertraut an: alles erlebt, körperlich abgelebt, von steten Zweifeln geplagt, die mit überbordender Coolness kaschiert werden, gesegnet mit einem aufregenden Berufsleben und einem riesigen Bekanntenkreis. Eigentlich könnten sie glücklich sein, kämpfen aber mit First-World-Problemen und vor allem gegen das Älterwerden.


In ihrem neuen Bobo-Roman „Alles über Beziehungen“ erzählt die Kolumnistin und Schriftstellerin vom Leiden des nicht mehr jungen Viktor. Der frischgebackene Intendant eines Avantgarde-Festivals wird demnächst 50, hat erhöhten Blutdruck, Bauchansatz und fünf Kinder von drei Frauen. Mit einer, Magda, lebt er auch zusammen. Weil er Monogamie für so notwendig hält wie Fußwarzen, pflegt er aber zahlreiche Affären, Lebensabschnittsgeliebte oder One-Night-Stands. Ein urbaner Schürzenjäger.

Viele Betthupferlgeschichten


Dieser Typ ist einer, auf den gerade emanzipierte Frauen seit Generationen hereinfallen: durchschaubar in seinen Absichten, unscheinbar in seinem Auftritt und dennoch mit einer Anziehungskraft ausgestattet, die ihn verliebenswert macht. Einen Viktor kennt, aus welcher Perspektive auch immer, wahrscheinlich jede und jeder – zumindest vom Hörensagen.
„Er schien immer nur sichtbar für die Frau, in der er jeweils gerade steckte“, heißt es an einer Stelle des Romans lakonisch. Und diese Haltung und Sprache ziehen sich vergnüglich durch. Viktors einziges Hobby sind Frauen, viele Frauen. Sie heißen Helen, Lisbeth, Camille, Josi, Anja oder die Morscher. Und sie sind allesamt keine Opfer. Sie suchen Zuwendung, Aufregung, vielleicht ein Geheimnis. Bis Viktors Betthupferlgeschichten auffliegen.

Hinreißende Charakterzeichnung


Scharfsinnig, selbstironisch und pointensicher skizziert Knecht die Liebens- und Leidenswege dieser mittelalterlichen Großstadtmenschen. Sie seziert den Beziehungsalltag und zertrümmert nicht nur ein Klischee über rosarote Romantik. Das ist erfrischend, unterhaltsam, wirkt aber in seiner Tiefenschärfe um Fragen von Wahrheit und Unwahrheit in Beziehungen noch lange nach.


Schon der Ratgeberliteratur-Titel „Alles über Beziehungen“ ist hinterlistig trügerisch. Natürlich erfährt man nicht alles darüber. Denn alle Konstrukte sind so einzigartig wie ihre Protagonisten. Dennoch schafft Knecht in ihrem vierten Roman eine hinreißende Charakterzeichnung über eine Generation, die, was ihre Beziehungsgestaltung angeht, größtmögliche Freiheit genießt und dennoch über so viele Hürden stolpert.

Doris Knecht. Alles über Beziehungen. Rowohlt, 288 Seiten, 23,60 Euro.