Bot ist ein spannender Begriff. Als selbsttätig arbeitende Software kann ein Bot analytische oder kommunikative Aufgaben erledigen, so dass mitunter nicht klar ist, ob man sich mit Mensch oder Roboter unterhält. Wenn von einem Autor wie Clemens J. Setz ein Buch mit dem Titel "Bot" erscheint, darf man daher eine Geschichte zur Schnittstelle Mensch/Maschine erwarten - und wird enttäuscht.

"Bot - Gespräch ohne Autor" entpuppt sich als Sammlung von Notizen, Überlegungen, Beobachtungen, Reimen, Gedanken, Fundstücken oder Fotos, die der Grazer in den vergangenen Jahren in einem großen, fortlaufenden Journal als Word-Datei angelegt hat und nun als eine Art fiktives Interview von seiner Lektorin Angelika Klammer unter verschiedenen Gesichtspunkten abgerufen wird - entweder durch Volltextsuche bestimmter Begriffe oder durch Zufallsprinzip. Doch der Trick funktioniert nicht.

Das Vorwort, das vom Turing-Text über den Autor Philip K. Dick bis zum Androidenkopf "Phil" und weiter zu Douglas Hofstadter reicht, führt hoch interessant in das Thema ein. "Dies alles bestärkte mich in der Ansicht, dass man auch mich dereinst würde rekonstruieren können aus dem Material, das ich hinterlassen habe", schreibt Setz, der in der Folge das Scheitern des Versuches beschreibt, einen herkömmlichen Gesprächsband mit ihm zu machen. "Eine Art Clemens-Setz-Bot" zu konstruieren, sei ein willkommener Ausweg gewesen. Ob man diese Entstehungsgeschichte für bare Münze nimmt, bleibt jedem selbst überlassen.

Erstaunlicher Weise lässt sich "Bot" auch ganz ohne digitale Nebelmaschine durchaus mit Gewinn lesen. Denn während die Einwürfe und Fragen, zu denen sich die einzelnen Texte verhalten sollten, seltsam skurril wirken ("Was unterscheidet eine inspirierende Apotheke von einer langweiligen?", "Wie stehen Sie zum Vergessen?", "Haben Sie Lieblingsbuchstaben?" u.a.) und die Interviewform wohl bewusst dekonstruieren, hat das unmotiviert in fünf Tage gegliederte Sammelsurium aus bis ins Jahr 2011 zurückliegenden Texten viel zu bieten.

Setz stellt erneut seine Fähigkeit für kurze Schauergeschichten, die etwa seinen Sammelband "Glücklich wie Blei im Getreide" auszeichnete, scharfe Alltagsbeobachtungen und ihr fantasievolles Weiterspinnen unter Beweis. Er lässt uns teilhaben an ungewöhnlichen Lektüre- und Reiseerfahrungen - etwa aus dem "Snow Monkey Park" in Japan, wo Affen im Winter in heißen Quellen baden -, erzählt von Rückwirkungen seiner Romane auf die Wirklichkeit, die von Menschen als "wie in deinem Roman" empfunden wird, oder entwickelt eine "Vorstellung des ultimativen Bösen: der Wiederentführer. Er hat es ausschließlich auf Frauen abgesehen, die nach Jahrzehnten aus ihrem Verlies befreiet wurden."

"Ich bin ein Synästhet, der selbst Demütigungen in verschiedenen Farben erlebt", sagt Setz über sich. Wer die Welt nur ein wenig anders wahrnimmt als seine Mitmenschen, hat buchstäblich was zu erzählen. Der entdeckt Zufallslyrik in den Abendnachrichten ("So war es vor allem diese Frage / über die an diesem Tage / die Delegierten / diskutierten") oder befindet: "Stiefmütterchen sehen aus wie Günter Grass." Selbstredend illustriert er seinen Befund mit einem Foto.

Natürlich wurde nach Setz auch die Zeitlupe in Graz erfunden, doch diese Geschichte ist noch gar nichts gegen die von ihm geschilderte Suche nach eingeschmuggelten, erfundenen Begriffen in Nachschlagewerken. Und weil ihm auch Selbstironie nicht fremd ist, versucht er auch schon mal, seine eigenen Romane in Limericks zusammenzufassen: "Bemühte Metaphern. Vergleiche. / Sexszenen wie blubbernde Teiche. / Historische Fakten / folgen abstrakten / Betrachtungen. Hier, eine Leiche."

Die Welt nach Clemens J. Setz ist schillernd, unwirklich und abenteuerlich. Sie hätte eine bemüht zeitgemäße Verpackung nicht nötig. Die einzige kurze Geschichte des Buches, in der auch wirklich ein Chatbot vorkommt, ist übrigens kurz und pointiert.

Clemens J. Setz: "Bot - Gespräch ohne Autor", Suhrkamp, 166 Seiten, 20,60 Euro.