Bei US-Bestsellerautorin Donna Leon dreht sich alles um Venedig: Dort war sie jahrzehntelang zu Hause, dort deckt ihr feinfühliger, belesener Commissario Brunetti trotz Korruption und Sumpf Verbrechen auf. Der 26. Fall kam im Frühjahr heraus ("Stille Wasser"). Am 28. September wird Donna Leon 75 Jahre alt. Es werde ein Tag wie jeder andere, sagt die Autorin: "Ich bin echt nicht der Feiertyp."

Donna Leon ist im Gespräch wie ein lebendiges Buch. Mal hält sie die Finger wie Zangen an die Schläfen und imitiert damit eine Zecke, um zu unterstreichen, wie angstbesessen Amerikaner sind. Oder sie macht vor, wie sie sich aus Frust über die Nachrichten nach dem Wahlsieg von US-Präsident Donald Trump das Online-Zeitunglesen abgewöhnte: sie reißt die Augen auf und stöhnt mit tiefer Stimme: "Cooooold Turkey" - kalter Entzug.

Ihre Brunetti-Krimis haben jedoch mit den USA wenig zu tun. Mit ihren Büchern hat Leon jedenfalls ein Genre jenseits des Schemas "Mord-ermitteln-Täter überführen" geschaffen. Wer bei Krimis am Ende die Bösen überführt und hinter Gitter sehen möchte, ist falsch bei ihr. "Mich interessiert weniger das "wer" als das "warum", ich will wissen, was jemanden zu der Tat getrieben hat", sagt die Autorin. So endet nicht jeder Brunetti mit einem überführten Mörder, und manchmal ist am Ende nicht mal ganz klar, ob es überhaupt einen Mord gab.

Vielmehr spürt Leon menschlichen Irrungen, gesellschaftlichen Zwängen, politischen Machenschaften nach und zeichnet so ein filigranes Porträt der Lagunenstadt. Die deutschen Verfilmungen sind ein Hit, auch wenn die literarischen Feinheiten dabei auf der Strecke bleiben. Leon hat nur zwei davon angeschaut.

Ihr geliebtes Venedig. Nach Italien kam sie als Studentin, hier unterrichtete sie als Literaturwissenschaftlerin englische Literatur. Dann flüchtete sie vor den Touristen. "Die Stadt ist dazu verdammt, noch kitschiger, geschmackloser und hässlicher zu werden", sagt sie und geißelt "die fahrbaren Stände mit dem blödesten Touristenkitsch." Und die Touristen. "Das ist eines der Rätsel der Menschheit: wenn jemand ständig Bermudas, Tennisschuhe und T-Shirt trägt, wieso läuft er dann mit einem Koffer herum, der größer ist als er selbst?"

Leon lebt seit Jahren in einem Dorf in Graubünden in der Schweiz, nahe der italienischen Grenze. "Bald kann ich einen Pass beantragen", sagt Leon. "Ich mag die Vorstellung, bald Europäerin zu sein."

Dort schreibt sie, ohne komplizierte Rituale, und wenn es sein muss, auch unterwegs: "Eine glatte Oberfläche, auf die ich den Laptop stellen kann, das reicht mir." Ihre Leidenschaft für Barockmusik treibt sie um die Welt, etwa mit dem 2012 gegründeten Barock-Ensemble "Il Pomo d'Oro", das sie fördert. Jeden Sommer ist sie beim Literatur- und Musikfestival in Ernen im Schweizer Kanton Wallis.

Leon wuchs in den USA mit einem Bruder auf, in einer fröhlichen Familie, wie sie sagt, die auch Vorbild für Brunettis Familie war. Ihre Großmütter stammten aus Irland, ein Großvater aus Spanien und einer aus Nürnberg. "Etwas Deutsches ist an mir nicht dran", sagt sie. "Ich bin eher eine typische amerikanische Promenadenmischung."

Eine eigene Familie hat Leon nicht. "Ich bin ja ständig unterwegs", sagt sie. "Ich habe noch nicht einmal eine Pflanze, geschweige denn ein Haustier." Die Liebe zu Venedig ist geblieben. Meist einmal im Monat ist sie dort, um Freunde zu sehen und sich zu neuen fiktiven Intrigen und Winkelzügen der Ruchlosen inspirieren zu lassen. Ein Ende der Karriere des Kommissars ist nicht in Sicht. Das Schreiben sei ihr nach wie vor eine große Freude. "Keine Sorge, er hat wahrscheinlich noch 25 Jahre vor sich", sagt sie lachend.

Der Brunetti 2018 ist schon fertig. "Es geht um Gier und Bosheit, ganz klassisch, zurück zu den Krimi-Standards", sagt sie. Der englische Titel: "The Temptation of Forgiveness" heißt übersetzt "Die Versuchung des Vergebens". Der deutsche Titel steht noch nicht fest.