Hauptstadtjournalisten: ein abgebrühter Haufen, schwer entflammbar. Trotzdem geht, gut hörbar, anerkennendes Raunen durch die Reportermenge, als am Freitag Kulturminister Thomas Drozda mit Martin Kušej durch die Flügeltür im zweiten Stock des Ministeriums tritt: Wohlwollen empfängt den künftigen Burgtheaterdirektor.

Der 56 Jahre alte Kärntner mit aktuellem Wohnsitz München ist in Wiens Kulturszene aber auch bestens bekannt. Kušej hat der Stadt, speziell dem österreichischen Nationaltheater, auch wenn dieses im Alltagssprachgebrauch nicht so heißt, schon etliche aufsehenerregende Inszenierungen beschert. Einige darf man legendär nennen: Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“ (2005), Nestroys „Höllenangst“ (2006), Karl Schönherrs „Der Weibsteufel“ (2008). Die Schauspielerin Stefanie Reinsperger, heuer Buhlschaft im „Jedermann“, hat, damals noch als Studentin am Reinhardtseminar, diese Inszenierung geschlagene sieben Mal besucht. „Beim ersten Mal konnte ich am Ende gar nicht aufstehen“, erzählt sie. „Und dann wollte ich einfach immer wieder sehen, wasda Großartiges auf der Bühne passiert.“


Kušej steht für bildgewaltige Dramatik, für Überwältigungstheater. Das mögen auch Schauspieler. Vom Ensemble des Burgtheaters ist er am Freitag mit Standing Ovations empfangen worden. Nicht einmal eine Stunde zuvor hatte der künftige Chef „ein klares Bekenntnis zum Schauspielertheater und zum Ensembletheater“ abgegeben: Man könne Schauspielerinnen und Schauspieler „nicht wegrationalisieren oder wegdiskutieren“. Kommt in einem Haus mit 65 fixen Ensemblemitgliedern sicher nicht schlecht an. Obwohl: Alle freuen sich angeblich auch wieder nicht. Naturgemäß ist die Burg auch ein Paradierplatz großer Schauspieler-Egos. Soll schon vorgekommen sein, dass Stars des Ensembles einer willfährigen Direktion das eine oder andere Stück in den Spielplan diktieren, wenn sie gerade Lust auf eine bestimmte Rolle haben. Schwer vorzustellen, dass so etwas mit Kušej gelingt. Er ist ein klassisches Alphatier, durchsetzungsstark, in Proben soll er einen durchaus robusten und wenn’s sein muss, autoritären Umgangston pflegen.

Die „Süddeutsche Zeitung“ hat ihn jedenfalls gleich einmal zum „Bezwinger der wichtigsten Burg Österreichs“ ausgerufen. Dabei tritt er erst in gut zwei Jahren an. Eine Grundvorstellung für das Burgtheater hat er allerdings schon skizziert: „Es ist an der Zeit, etwas zu machen, was ähnlich radikal ist, wie es die Berliner Volksbühne vor 25 Jahren oder wie es die Peymann-Zeit für Wien war. Ich will Vollgas geben.“

Dabei weiß Ku(s)ej natürlich, dass sich die Aufregungen vergangener Jahrzehnte nicht wiederholen lassen. Und auch, wie langweilig das wäre. Ihm geht es um Aufbruchstimmung und letztlich um seine Idee eines aufregenden analogen Theaters, „in dem die Leute für wahnsinnig viel Geld Karten kaufen, um Menschen auf der Bühne schwitzen zu sehen“.
Am liebsten soll das international funktionieren, „die Leute sollen nach Wien reisen, um ins Theater zu gehen“, wie sie nach London reisen, um ins Theater zu gehen. Auf die Frage, ob er es nach dem sittsamen Konsolidierungsbetrieb der letzten Jahre an der Burg vielleicht an der Zeit sieht, das Haus auch wieder einmal beherzt leer zu spielen, scherzt er: „Ich bin nicht so schlecht wie mein Ruf.“ Freilich könne man die Burg künstlerisch auch als „an einem Stagnationspunkt“ erleben, freilich brauche das Haus Neuausrichtung und Leidenschaft: „Ich nehme an, dafür hat man mich geholt.“ Mit dieser Annahme ist er jedenfalls nicht allein: „Der Mann hat Feuer“, mit diesen Worten kommentierte die Autorin Elfriede Jelinek seine Bestellung, „und ein paar Feuerchen wird er schon anzünden.“

Er stehe als Künstler und Intendant jedenfalls „für Veränderung, Irritation und Aufregung“, kündigt Kušej an. Dass er dem Burgtheater politisch Kanten verpassen und eine gesellschaftliche Öffnung verordnen will, sollte das Land im 21. Jahrhundert aushalten. Dass er „mit einem ganz neuen und jungen Team“ arbeiten will, „das ein neues und spannendes Kapitel in der Geschichte des Hauses schreiben könnte“, klingt fast nach mehr Irritation, weil nach Strukturumbau. Ähnliches hatte er in München noch vor: Gemeinsam mit dem Chef der Bayerischen Staatsoper Nikolaus Bachler (einem seiner Förderer und Vorgänger als Burg-Herr) wollte er den zu seinem Residenztheater gehörenden Marstall als experimentelle Doppelbühne für Sprech- und Musiktheater installieren.



In Wien verfügt der Theatermacher über vier Bühnen (Burg- und Akademietheater, Kasino am Schwarzenbergplatz, Vestibül) und eine Basisfinanzierung von knapp 49 Millionen Euro. Damit werden gegenwärtig insgesamt rund 850 Vorstellungen für rund 400.000 Besucher pro Saison bestritten. Aktuell liegt die Auslastung bei etwas mehr als 76 Prozent (in der Spielzeit 2015/16, für die am Freitag beendete Burg-Saison liegen noch keine Zahlen vor). Klingt bewältigbar. Aber Kušej ist darauf vorbereitet, „dass das erste Jahr einer Intendanz immer schwierig ist, dass es ungefähr drei Jahre braucht, bis das Schiff wieder durchs Fahrwasser gleitet“. So kommentierte er, aus der Erfahrung einer mittlerweile etablierten ersten Intendanz am „Resi“, die anhaltende Kritik an seinem Münchner Nachbarn, Matthias Lilienthal von den Kammerspielen. Dieser streift herkömmliche Theaterformen radikal ab, vermietete etwa in einem Performanceprojekt auf öffentlichen Plätzen Münchens kleine Hütten, um auf hohe Mietpreise aufmerksam zu machen. Auch das ist heute Theater, Postdramatik.Kušej fängt damit nichts an, sein Theater ist zeitgenössisch, aber mit richtigen Stücken für richtige Schauspieler. Aber für experimentierfreudige junge Regisseure will er „ein Ermöglicher sein, ohne Eifersucht“, sagt er. Das heißt auch: Nur eine Regiearbeit pro Saison ist mit ihm als Burg-Direktor vereinbart. Ob er auch an anderen Theatern inszenieren wird, ist offen, „aber ich bin auch nicht so blöd zu glauben, dass ich woanders besser bin als in meinem eigenen Haus“.

Wohl definitiv nicht zu erwarten ist von ihm in nächster Zeit eine Musiktheaterregie. „Ich habe eine Opernkrise“, konzediert er in Wien, „deswegen schaue ich mir sehr genau an, wo es Sinn und Spaß macht, Oper zu inszenieren. Ich bin aufgrund meiner Erfahrung in eine gewisse Nachdenklichkeit geraten, was die Produktionsbedingungen von Oper betrifft.“ Schade: Sein „Don Giovanni“ mit Nikolaus Harnoncourt in Salzburg 2002 war eine Sternstunde des Opernbetriebs. „Die Erfahrung Harnoncourt war außerordentlich“, sagt er noch heute.

Bei fast 110 Inszenierungen hält Kušej derzeit. Dass er als Künstlerintendant klassischen Zuschnitts sich tatsächlich nur noch einmal pro Saison ans Regiepult setzen will, ist eigentlich schwer vorstellbar. Zumal sein Credo in Wien einen Tatmenschen offenbart: Als zentralen Punkt eines Burg-Engagements sieht er bei aller klar artikulierten Verpflichtung „nicht Politik oder Gesellschaft, sondern Kunst. Ich habe als Regisseur wie als Theaterleiter eine Verantwortung dafür, dass Kunst vermittelt wird. Ich bin von der lebensnotwendigen Funktion von Kunst überzeugt.“

Letztlich spricht er von Herzens- und Seelenbildung durch Kunst, von „materienlosem Gewinn“ durch Theater, „diesem archaischen Raum, in dem man den Tod und die Angst davor verhandelt“. Für derlei Beschwörungen ist diese Gegenwart eigentlich zu zynisch. Aber in Wien haben die abgebrühten Journalisten da nur ganz knapp nicht applaudiert.