Den ersten, immens berührenden literarischen Vorboten für eine Verlagsgroßtat gab es im Vorjahr mit der neu zusammengestellten Gedichtesammlung „Winterreise nach Prag“. Mit einem der schönsten Gedichte, die Ingeborg Bachmann schuf – „Böhmen liegt am Meer“. Es entstand nach der für die Dichterin in vielfacher Hinsicht traumatischen Trennung von Max Frisch (im Jahr 1962). Mit diesem wunderbaren Gedicht wollte die Dichterin wieder in das Leben und zum Schreiben zurückkehren. Nach einer Reihe schwerer psychischer Zusammenbrüche und dramatischer Selbstmordgedanken.


Nun soll das Textmassiv, das die Kärntner Schriftstellerin von Weltgeltung schuf, in all seinen Dimensionen erfasst, ergänzt, erläutert und durch eine Vielzahl bisher unveröffentlichter Texte und Briefe in ein neues Licht gerückt werden. Wobei der Begriff Licht für den Auftakt der auf 30 Bände angelegten Werkausgabe, die den Titel „Salzburger Bachmann Edition“ trägt, eher fehl am Platz ist. Ermöglicht wurde die Gesamtausgabe durch die Öffnung des umfangreichen Nachlasses durch die Erben Bachmanns, Band eins gleicht einer Reise in die Nacht.

Beklemmender Auftakt


Denn der Auftakt könnte mit dem Band „Male oscuro“ beklemmender und finsterer nicht sein. Der Titel – „Düsteres Übel“ – bezieht sich auf den 1964 in Italien veröffentlichten Roman von Giuseppe Berto. Und das Übel, auf das Ingeborg Bachmann in ihren erstmals publizierten Traumnotizen, Reden und pessimistischen Briefentwürfen verweist, ist ihr eigenes, nach mehreren seelischen Zusammenbrüchen sinnlos gewordenes Leben.


Mehrmals begab sich die Autorin in klinische Behandlung. Auf Anraten der Ärzte schrieb sie Traumnotate, kurze Episoden, die kafkaesker nicht sein könnten. Es sind Wort- und Schlafkriege, meist am Rande jeder Hoffnung, nahe am endgültigen Abgrund. Und doch sind darin immer wieder auch Passagen des Leben- und Überleben-Wollens zu finden, für die Ingeborg Bachmann mitunter ganz leichte und halb ironische Töne anschlägt. „Ich habe keine ,Krisen‘, und schon gar keine Schreibkrise, nie gehabt, eben nur die Problemchen, die wir alle haben vor der Schreibmaschine ...“, schreibt sie an einen ihrer Ärzte.

Protokolle der Einsamkeit


In großer Mehrheit aber sind es seelische Morsezeichen aus einem Niemandsland, „so furchtbar allein und abgetrennt von allem“; Protokolle der Einsamkeit, der Isolation, der Verzweiflung. Hinzu gesellen sich tiefe Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Schreibens, des Dichtens, geprägt auch durch die Furcht und das Schamgefühl, „Teil dieses Gesindels“ zu sein. Für sie sei die Dichtkunst in Trümmer gegangen, ganz und gar, „wie für einen Puritaner die Welt in Trümmer geht, wenn man ihn nach Sodom und Gomorrha versetzt“.
Schon jetzt gibt es unter Literaturexperten heftige Debatten darüber, ob mit diesen Veröffentlichungen nicht das „Gebot der Diskretion“ überschritten werde, zumal Ingeborg Bachmann ihre Privatsphäre stets heftig verteidigte. Der Einwand mag zutreffend sein.


Aber vor allem die „Traumprotokolle“ ermöglichen ein klareres Bild einer Dichterin, die ebenso verstörend wie zerstörend schreiben konnte, aber auch beglückende Werke schuf, fernab vom „düsteren Übel“, das ihr etliche Jahre lang so zu schaffen machte. Ein Ringen nach Sprache, das häufig sprachlos macht.