So richtig hatte niemand daran geglaubt, umso größer war am Donnerstag die Überraschung, als der Literaturnobelpreis an den US-Songwriter Bob Dylan bekanntgegeben wurde. Der 75-Jährige wird für die Schaffung "neuer poetischer Ausdrucksformen" in der großen Tradition der amerikanischen Musik geehrt, erklärte die Sprecherin der Schwedischen Akademie, Sara Danius, in Stockholm.

Zu den Favoriten des Literaturnobelpreises hatten in diesem Jahr der Syrer Adonis und der Brite Salman Rushdie gezählt. Großer Favorit bei den Wettbüros war der Japaner Haruki Murakami. Im vergangenen Jahr ging der Preis an die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch.

Dylan, der bereits mehrfach für die Auszeichnung im Gespräch war, gilt als einer der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts und es ist das erste Mal, dass ein Musiker für seine Songtexte den Literaturnobelpreis erhält. Danius würdigte die Lieder des Musikers als "Poesie für die Ohren". Dylan habe den Status einer "Ikone", hieß es in einer Erklärung der Akademie. "Sein Einfluss auf die zeitgenössische Musik ist tiefgreifend."

Für den Wiener Kulturwissenschafter Eugen Banauch zeigt die Zuerkennung, dass die Verbindung von Lyrik, Musik und Performance im Songwriting endgültig im Literaturbetrieb angekommen ist. Klar sei jedoch: "Dylan braucht den Nobelpreis nicht", so Banauch, der selbst viel zu Dylan geforscht hat, zur APA. Klaus Kastberger, Leiter des Literaturhaus Graz, sieht die Entscheidung als "der Tendenz nach richtig, aber von der Person her falsch. Man wollte halt der Tatsache gerecht werden, dass Literatur zunehmend anders definiert wird als noch vor zehn Jahren und hat jetzt einen Songwriter genommen. Aber natürlich ist das auch, wie in vielen Fällen, 20 Jahre zu spät."

Sara Danius bei der Verkündung
Sara Danius bei der Verkündung © APA/AFP/Nackstrand

Anders FM4-Moderator Martin Blumenau: "Es geht um die Formalfrage, die bisher auch diesen Argwohn in der Literaturszene hervorgebracht hat: Sind Lyrics, die nicht in Gedichtbänden, sondern als Songs veröffentlicht werden, Literatur oder nicht? Das ist die Gretchenfrage. Und offenbar hat sich das Komitee nun durchgerungen, diese Frage mit Ja zu beantworten. Dass man dann den, der es erfunden hat, auszeichnet, ist die logische Konsequenz."

Der am 24. Mai 1941 als Robert Allen Zimmerman in Duluth in Minnesota geborene Dylan prägt die Folk- und Rockszene seit rund fünfeinhalb Jahrzehnten. Er brachte sich selbst das Spielen auf Mundharmonika, Gitarre und Klavier bei. Sein Künstlername soll eine Ehrerweisung an den walisischen Dichter Dylan Thomas sein. Nachdem er das College geschmissen hatte, ging Dylan Anfang der 60er Jahre nach New York. Berühmt wurde er unter anderem für seine Songs "Blowin' In the Wind" und "The Times They Are A-Changin", die ihn zur Ikone der Bürgerrechts- und Friedensbewegung machten. Seine Themen sind die soziale Ungerechtigkeit, Krieg und Rassismus. Allein in den ersten drei Jahren seiner Karriere nahm der auch auf der Bühne stets verschlossen wirkende Musiker 300 Lieder auf.

Seine Alben wie etwa "Highway 61 Revisited" - mit dem Hit "Like A Rolling Stone" - und "Blonde on Blonde" rissen Kritiker zu Begeisterungsstürmen hin, doch 1966 wurde Dylans Schaffensdrang durch einen schweren Motorradunfall jäh unterbrochen. Ab den 70er Jahren veröffentlichte er wieder neue Alben. In die Zeit fällt auch die von ihm komponierte Musik zum Film "Pat Garrett & Billy the Kid", darunter das legendäre "Knockin' on Heaven's Door".

Sänger und Maler

Später wurden die Texte Dylans von seinem wiederentdeckten christlichen Glauben beeinflusst - eine Wendung in seinem Werk, die auch nicht alle Fans mitmachten. 2004 erschien der erste Teil seiner Autobiographie "Chronicles". Zuletzt veröffentlichte die Musiklegende mit "Fallen Angels" ihr 37. Studioalbum - mit Popstücken, die einst Frank Sinatra sang. Nebenbei zeichnete und malte Dylan auch Aquarelle und Gouachen.

Die Nobelpreise in Literatur, Medizin, Physik und Chemie werden am 10. Dezember bei einer feierlichen Zeremonie in der schwedischen Hauptstadt verliehen. Das Preisgeld beträgt jeweils acht Millionen Kronen (rund 822.000 Euro). Der Friedensnobelpreis wird am selben Tag in Oslo an den kolumbianischen Staatschef Juan Manuel Santos verliehen.