Zwei zum Preis von einem: Die Niederlande und Flandern werden diesmal die Ehrengäste der Frankfurter Buchmesse. Die Nachbarn der Deutschen sind neugierig, lesefreudig - und schlagen jetzt schon alle Rekorde.

Der Platz Spui mitten in Amsterdam: Straßenbahnen klingeln, Fahrräder rasen an alten Häusern vorbei. Auf einer Seite steht das Hauptgebäude der Universität, gleich gegenüber die Traditions-Buchhandlung Athenaeum. Daneben ein paar Cafés, Treffpunkt vieler Dichter und Denker. Der Platz ist das Herz der Literaturszene der Niederlande - die in diesem Jahr gemeinsam mit Flandern die Ehrengäste der Frankfurter Buchmesse sind.

"Dies ist, was wir teilen", ist der Slogan der Gäste. Und sie haben viel gemeinsam, auch wenn sie nicht zu einem Land gehören. In Amsterdam sind flämische wie niederländische Autoren gleichermaßen zu Hause. Die meisten Verlage residieren nicht weit vom Spui an den Grachten, und sie verlegen auch die flämischen Autoren. Diese wetteifern mit den Niederländern um dieselben Auszeichnungen. Im März feiern sie eine Buchwoche - ein Volksfest für Leser und Autoren.

Große Neugier

Vor allem aber teilen sie eine große Neugier auf Geschichten. Flamen wie Niederländer sind sehr lesefreudig, die Medien umarmen neue Autoren. Schriftsteller mischen auf beiden Seiten der Grenze auch in aktuellen Debatten kräftig mit. "Offen, demokratisch und engagiert", so beschreibt der Amsterdamer Buchhändler und Autor, Maarten Asscher, den Buchmarkt. Genau wie der Platz Spui.

Bereits zum zweiten Mal nach 1993 können sich die Niederlande und Flandern in Frankfurt präsentieren. Im Vergleich zu damals ist die Literatur der "niedrigen Länder" mittlerweile fest auf dem deutschen Markt etabliert. Hugo Claus, Leon de Winter oder Connie Palmen sind auch dort Bestsellerautoren.

Deutschland ist auch für die Autoren existenziell notwendig. Denn auf dem eigenen, relativ kleinen Markt mit rund 20 Millionen niederländischsprachigen Lesern allein könnten sie kaum überleben. Wichtigster Absatzmarkt ist das Nachbarland. Mit einer Rekordzahl von mehr als 450 Neuerscheinungen präsentieren sich die Ehrengäste auf der Buchmesse. Sie wollen vor allem Lust auf Geschichten machen - und auf in Deutschland noch unbekannte Autoren.

Teilung

Trotz der gemeinsamen Sprache haben Flamen und Niederländer aber keine gemeinsame Literatur. Die Abspaltung Belgiens von den Niederlanden 1830 führte auch zur Teilung der Literatur, wie der Leiter des niederländisch-flämischen Kulturzentrums De Buren (Nachbarn), Wim Vanseveren, in Brüssel erklärt. "Die Buchmesse bekommt zwei für den Preis von einem."

"Literatur ist sehr wichtig für unsere flämische Identität", erläutert der flämische Bestsellerautor Stefan Hertmans ("Der Himmel meines Großvaters"). Die Emanzipation der Flamen gegen die frühere Dominanz der französischsprachigen Wallonen ist ein großes Thema der Autoren. Immer wieder auch das Trauma des Ersten Weltkrieges. "Wir ringen mit unserer Geschichte, dem Schweigen über die Kollaboration mit den Deutschen", sagt Hertmans.

Nationale Identität

Dagegen war die nationale Identität in der niederländischen Literatur seit Ende der 1960er Jahre kaum mehr Thema. Weltoffen zeigten sich die Niederländer. Das aber änderte sich in den letzten Jahren: Probleme mit der multikulturellen Gesellschaft, Rechtspopulisten, ein radikaler Islam und nun die Flüchtlingskrise machen die Frage nach der eigenen Identität wieder hochaktuell.

"Menschen haben Angst, ihre Identität zu verlieren", sagt der niederländische Bestsellerautor Tommy Wieringa ("Dies sind die Namen"). "Wir stellen uns nun mehr denn je die Frage: Wer sind wir? Was ist holländisch?" Die Frage der nationalen Identität spaltet Europa. Doch sie verbindet die Literatur Flanderns und der Niederlande. Jeder aber mit ganz eigenen Geschichten.

Bart Moeyart, der künstlerische Leiter des Gastlandauftrittes in Frankfurt, sagt es mit einem Bild. "Wir teilen die Nordseeküste", so der preisgekrönte Kinder- und Jugendbuchautor. Das ist für ihn mehr als ein poetisches Bild. "Das Meer", sagt er, "ist auch politisch, denken wir an die Flüchtlinge, und es ist nicht immer sanft und schön."