Aus Protest gegen die EU-Urheberrechtsreform wird die deutschsprachige Wikipedia morgen abgeschaltet. Kritisiert wird insbesondere der Artikel 13 der Richtlinie. Kurz gefragt: Warum ist Wikimedia der Meinung, dass die neue Regelung eine schlechte Lösung ist?

Claudia Garád: Alle Plattformen müssten nach diesem Vorschlag Filtersysteme bei sich einführen, wenn sie nicht umfassend Lizenzen kaufen für alles, was ihre User hochladen (Artikel 13 der Reform). Außerdem sollen zukünftig selbst sehr kleine Textteile aus Presse-Erzeugnissen nur noch mit Erlaubnis der jeweiligen Verleger verwendet werden dürfen (Artikel 11), und die Presse ist einer der wichtigsten Bezugspunkte auch für die Inhalte der Wikipedia. Beide Vorschläge machen der Wikipedia-Community große Sorgen. Wikipedia selbst ist von Artikel 13 ausgenommen. Doch das Freie Wissen lebt keineswegs nur in der Wikipedia. Wir setzen uns für ein insgesamt freies Netz ein, damit Wissen möglichst ungehindert geteilt werden kann. Die Umstellung auf eine direkte Haftung für Plattformbetreiber mit ihrer zu erwartenden Breitenwirkung im Netz wird auch vom UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte David Kaye und dem Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber scharf kritisiert. Die Wikipedia-Community und wir sind insoweit in sehr guter Gesellschaft.

In einer gemeinsamen Erklärung, die auch Wikimedia unterzeichnet hat, steht, dass die Intention der Urheberrechtsreform („einen harmonisierten Rechtsrahmen für das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt Anreize für Innovation, Kreativität, Investitionen und die Produktion neuer Inhalte zu schaffen“) positiv ist, der Kompromiss aber ein schlechter. Können Sie skizzieren, wie eine gute Lösung aussehen könnte?

Claudia Garád: Dort, wo die Aushandlung zwischen professionellen Kreativen und Online-Plattformen nicht (mehr) funktioniert, weil die Plattformen eine erdrückende Marktmacht haben, muss politisch eingegriffen werden. Aber nicht vorrangig mit dem Urheberrecht, sondern über Wettbewerbs-, Kartell- und Steuerrecht. Das Urheberrecht betrifft inzwischen alle Menschen unmittelbar, darum ist es nicht mehr das geeignete Schlachtfeld für sich streitende Verwertungsindustrien.
Die Befürworter des aktuellen Entwurfs verkennen auch, dass der größere Teil der Kreativität im Netz, von Blödsinn bis Geniestreich, keinen Erwerbszwecken dient. Auch die Wikimedia-Projekte und Strömungen wie Citizen Science werden von anderen Interessen getragen als der altbekannten Verwertungslogik. Dieser im wahrsten Sinne freien Netzkultur, die von Millionen Menschen getragen wird, die andere Brotberufe haben, muss das Urheberrecht genauso gerecht werden wie denjenigen, die sich entschieden haben, vom “geistigen Eigentum” zu leben. Diese Balance erreicht der gegenwärtige Gesetzesentwurf nicht.

Befürworter sagen, durch die Urheberrechtsreform würde die Interessen von Künstlern und Rechteinhabern stärker berücksichtigen und es Ihnen leichter machen, zu ihrem Recht zum kommen. Was sagen Sie dazu?

Claudia Garád: Mit der laufenden Urheberrechtsreform sollen Regeln für Online-Dienste EU-weit vereinheitlicht werden. Außerdem sollen professionell Kreative und ihre Verlage, Produktionsfirmen, Labels und Verwertungsgesellschaften gegenüber großen Plattformen gestärkt werden. Diese Stärkung ist ein legitimes Anliegen – nur könnten die Instrumente, mit denen sie durchgesetzt werden soll, die Meinungsvielfalt und Informationsfreiheit im Internet massiv einschränken.

Sogenannte Upload-Filter wären künftig ein zentrales Filterinstrument im Netz. Wie sehen Sie die demokratiepolitische Gefahr?

Claudia Garád: Bereits jetzt wird das Urheberrecht massenhaft dazu verwendet, unliebsame Inhalte aus dem Netz entfernt zu bekommen - bisher allerdings “nur” nachträglich. In Zukunft könnte das präventiv geschehen. Missliebiges kann so gar nicht erst erscheinen. Das Missbrauchspotenzial dieser Filterungen ist enorm.

Kommt die Richtlinie wie geplant, wer profitiert davon, wer verliert?

Claudia Garád: Es gewinnen die Internetgiganten, für die die Haftungsfrage und die Programmierung auf ihrer Bedürfnisse abgestimmter Uploadfilter kein Problem darstellt und Verwertungsgesellschaften. Es verlieren im Grunde alle anderen: Alle Nutzer riskieren ihre Meinungsfreiheit und unabhängige Künstler, kleine Unternehmen, Projekte und Organisationen werden weiter benachteiligt. Ein Projekt wie die Wikipedia könnte in diesem Internet der Zukunft mit Sicherheit nicht mehr dahin kommen wo wir heute sind. Wir alle verlieren Innovation und Vielfalt.

Was auffällt: In Deutschland ist das Thema medial und in der Bevölkerung viel präsenter als in Österreich. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Claudia Garád: Ich glaube die Frage können die Medien besser beantworten. Insgesamt hat man bereits in den letzten Jahren immer wieder gemerkt wenn das Thema aktuell wurde, dass sie Medien mit Verlagshäusern/Verwertungsgesellschaften im Hintergrund sich sehr schwer tun damit, eine komplett unbefangene bzw vom Umfang her angemessene Berichterstattung scheint da schwierig. Ansonsten nehme ich an, dass die Tatsache, dass das Thema in Deutschland auch im Koalitionsvertrag steht und dieser mit der aktuellen Position der Regierung gebrochen wurde ebenfalls eine Rolle spielt und das Thema zu einem heißen Eisen macht. In der österreichischen Zivilgesellschaft hingegen ist das Thema durchaus stark präsent, eine der wichtigsten Kampagnen pledge2019.org kommt aus Österreich und auch hier organisieren sich ähnlich wie bei den Klimastreiks viele - auch viele junge Menschen - um ihr Internet zu retten - wie etwa letzten Samstag beim Protest in Graz oder kommenden Samstag in Wien.