Villon, Caravaggio, Cellini, Gesualdo: allesamt Mörder. Karl May: ein Betrüger und Fälscher. Paul Verlaine schoss auf Arthur Rimbaud. Jean Genet ging wegen Diebstahls in Haft, Otto Muehl unter anderem wegen Unzucht mit Minderjährigen. Benjamin Britten, Woody Allen, kürzlich James Levine: auch der Pädophilie verdächtigt ... Kann, soll, muss man Künstler und Werk trennen oder nicht?

Nein, Karl Böhm war kein Verbrecher. Aber er machte sich mit den größten Verbrechern gemein. Das wollen auch Autor Paulus Hochgatterer und Regisseur und Schauspieler Nikolaus Habjan mit ihrer Uraufführung im Grazer Schauspielhaus zeigen. Das Stück „Böhm“ wird die Janusköpfigkeit eines Mannes herausschälen, der künstlerisch Herausragendes leistete, sich aber politisch bis zur Kenntlichkeit verbog.

Karl Böhm, 1894 in Graz geboren, gab als erst 23-Jähriger an der dortigen Oper sein Debüt am Pult. Das Sprungbrett für eine steile Karriere. Der Dirigent erwarb sich rasch einen Ausnahmerang, leitete Paradeorchester wie die Wiener Philharmoniker oder die Dresdner Staatskapelle, arbeitete mit den größten Solisten seiner Zeit von Elisabeth Schwarzkopf bis Fritz Wunderlich und sorgte mit seinen akribischen Werkdeutungen bei den Bayreuther Festspielen genauso für Furore wie an der New Yorker Met.

Hitlers "Gottbegnadeten"-Liste

Aber da war eben auch die andere Seite. Böhm, dessen „Götter“ Mozart, Wagner und Strauss hießen, landete nicht zufällig auf der Liste der „Gottbegnadeten“, die von Hitler und Goebbels 1944 zur künstlerischen Elite erkoren wurden. Böhm war kein NSDAP-Mitglied, aber beim „Kampfbund für deutsche Kultur“ in München in führender Funktion, und er diente sich wie Furtwängler, Karajan oder Knappertsbusch immer mehr dem braunen Regime an. Ob er aus fester Überzeugung oder purem Opportunismus so handelte, ist ungewiss, aber als eilfertiger Mitläufer wusste er stets die richtigen Schritte zu setzen.
„Wer dieser Tat des Führers nicht mit einem hundertprozentigen JA zustimmt, verdient nicht, den Ehrennamen Deutscher zu tragen“, schrieb „Anschluss“-Befürworter Böhm in einem Aufsatz vor der „Volksabstimmung“ und dirigierte am 30. März 1938 in Wien das „Erste festliche Konzert im neuen Deutschen Reich“, nicht ohne zuvor das Publikum mit dem Hitlergruß zu empfangen und eingangs das Horst-Wessel-Lied spielen zu lassen.

Antisemitismus sei Böhm nicht anzulasten, sagt der Historiker Oliver Rathkolb. Dennoch wird der Maestro, dessen Aufstieg durch die Vertreibung jüdischer und politisch missliebiger Kollegen begünstigt wurde, im Buch „Arisierung auf Österreichisch“ mit dem Satz zitiert: „Solange noch ein Jude in der Ostmark lebt, werde ich nicht zum Taktstock greifen.“

Auftrittsverbot

Im April 1945 wurde Böhm, damals Staatsoperndirektor, von den Alliierten wegen zu großer Nähe zum Nazi-Regime von seinem Posten entfernt und bis 1947 mit Auftrittsverbot belegt. „Ich erinnere mich ganz genau“, nannte Böhm 1980 seine Autobiografie. Die Behauptung bezieht sich aber nur auf sein Künstlerleben, samt ungenauer Rechtfertigung: „Dass ich nicht emigriert bin, hat man mir später verübelt. Ich hatte damals leider kein Angebot von der Met oder von Covent Garden. Ich glaube aber, im Verlaufe meiner Tätigkeiten sowohl in Dresden sowie später in Wien bewiesen zu haben, auf welcher Seite ich immer gestanden bin.“ Klare Worte zu Böhms belasteter Vergangenheit fanden bis heute wenige. Zum Beispiel die Salzburger Festspiele: Diese ergänzten 2015 den Karl-Böhm-Saal im Festspielhaus mit einer Hinweistafel auf eine Internetadresse, auf der laut Präsidentin Helga Rabl-Stadler „die Persönlichkeit Karl Böhms dargestellt wird als das, was er war: ein großer Künstler, aber ein politisch fatal Irrender“.