Auf der Sautratten, einer Wiese nicht weit vom Elternhaus des Schriftstellers Josef Winkler entfernt, wurde der NS-Massenmörder Odilo Globocnik nach seinem Selbstmord verscharrt. Der Kärntner Büchner-Preisträger machte aus diesem Stoff ein Stück für das Burgtheater und ein Buch für den Suhrkamp-Verlag. In „Lass dich heimgeigen, Vater oder Den Tod ins Herz mir schreibe“ literarisiert er die Vorstellung eines vergrabenen Skeletts auf dem Feld in Form eines Briefes an seinen Vater. „Kein Dialogstück, sondern ein poetischer Text“ ist die neue Theaterarbeit Winklers, der schon einmal für die Bühne geschrieben hat: Beim steirischen herbst wurde vor zwei Jahren „Specter of the Gardenia“ mit der Musik von Johannes Maria Staud aufgeführt, Winkler: „Das hat mich ermutigt. Wenn das nicht funktioniert hätte, hätte ich die Hände diesmal davon gelassen.“

Wie sind Sie auf die Globocnik-Geschichte gekommen?
JOSEF WINKLER: Beim literarischen Arbeiten kann ich eigentlich mit historischem Material gar nicht umgehen. Ich könnte mich nie in ein Archiv setzen, ein Jahr oder zwei etwas herausoperieren und dann eine Geschichte daraus machen. Auf diese Sache bin ich über das Buch „Zwei Millionen hamma erledigt“ gekommen, diese Geschichte, die sich in der Umgebung meines Heimatdorfes abgespielt hat.

Sie haben die „Sautratten“ Ihrer Kindheit erkannt?
Diese Sautratten war ja ein Gemeinschaftsfeld von mehreren Bauern, unter anderem auch von meinem Elternhaus und dem Elternhaus mütterlicherseits.



Hat Ihnen Ihr Vater auch von Globocnik erzählt?
Mein Vater ist ja 99 geworden, und manche Kriegsgeschichten hat er mir 20, 30 Mal und öfter erzählt. Ich weiß alle Details, und deswegen kann ich das auch zu einem Text ausarbeiten. Aber eines hat er nicht gesagt: dass wir praktisch über dem Skelett eines Judenmassenmörders, der gesagt hat „Zwei Millionen hamma erledigt“, die Arbeit verrichtet haben als Kinder. Das muss mein Vater gewusst haben.

Hat nie jemand etwas angedeutet oder gesagt?
Ein mittlerweile verstorbener, 92-jähriger Cousin meines Vaters hat gesagt: Klar haben wir das alle gewusst, wir waren 16-jährige Burschen im Schlosshof von Paternion. Der Globocnik ist umgefallen, und die Engländer haben uns weggejagt. Der Pfarrer von Paternion hat sich geweigert, ihn auf dem Friedhof zu begraben, deswegen ist er von den Engländern auf der Sautratten verscharrt worden.

Ist das Theaterprojekt ein weiteres Stück Aufarbeitung der Familiengeschichte?
Es geht darum, dass ich den Vater anspreche wie in einem Brief, es beginnt auch so: „Lieber Vater, böser Vater, warum hast du mir das nicht erzählt?“ Wir haben als kleine Kinder auf der Sautratten mitgearbeitet. Wir haben auf diesem Feld gemeinsam den Roggen für das Schwarzbrot eingebracht, den Weizen für das tägliche Weißbrot, und das Skelett ist drunter. Das hat mich gepackt.

Hat sich Ihr Blick auf die Vergangenheit dadurch verändert?
Es geht darum, dass sich über diesem Skelett meine Kindheitsdorf- und Jugendgeschichte neu aufbaut, auf ganz monströse Art und Weise. Ich habe durch diesen Text jetzt keine Verachtung mehr meinem Vater gegenüber, auch keinen Hass. Ich möchte nur wissen: Was war los? Warum hat man das verschwiegen? Es kann nicht sein, dass die das nicht gewusst haben.


Wie passt das fürs Theater?
Es war von vornherein klar, und das habe ich auch Karin Bergmann gesagt, dass es mir nicht möglich ist, einen Theatertext zu schreiben, wie es Felix Mitterer macht oder Peter Turrini, die Bekanntesten, die klassische Dialoge fürs Theater schreiben können.


Wie kam es zur Anfrage des Burgtheaters?
Angezettelt hat das Ganze der André Heller. Der hat mich in seiner TV-Sendung „Menschenkinder“ einmal gefragt, ob ich nicht was fürs Theater machen will. Ich hab gesagt, das ist nicht meine Sache. Dann hat er mit der Frau Bergmann gesprochen und mich ihr wärmstens ans Herz gelegt – und wenig später hat sie angerufen. Damals ist die Sautratten-Sache gerade in mir umgegangen. Vor Weihnachten haben wir uns getroffen, im Jänner habe ich zu schreiben begonnen.