Zwar stehen mit "Lady Eats Apple" des Back to Back Theatres am Mittwochabend im Theater an der Wien und "Battlefield" von Peter Brook am Freitag noch zwei große Premieren aus. Dennoch lässt sich bereits jetzt klar benennen, in welche Richtung die Festwochen unter dem 48-jährigen Zierhofer-Kin steuern - und welche Gewässer sich als allzu seicht auf dieser Route erwiesen. Das Zentrum wird da bezüglich Aufmerksamkeit eher zur Peripherie.

Als eine der größten Enttäuschungen entpuppte sich im ohnehin stark ausgedünnten Schauspiel-Segment das Gastspiel "Obsession" nach dem gleichnamigen Erstlingsstreifen von Luchino Visconti. Die Toneelgroep Amsterdam lieferte in der Regie von Ivo van Hove einen rund um Hollywoodstar Jude Law konstruierten Abend, der in seiner hölzernen Schablonenhaftigkeit den Funken nicht zum Publikum überspringen ließ.

Auf der gegenüberliegenden Seite des professionellen Spektrums fand sich "Während ich wartete", in dem sich das syrische Duo Mohammad Al Attar und Omar Abusaada der syrischen Lebensrealität anhand einer Familiengeschichte widmete. Die Inszenierung bot zwar einen sensiblen Einblick in den Alltag des vom Terror gezeichneten Landes, ließ jedoch auf der künstlerischen Seite einige Wünsche offen.

Ein klarer Erfolg wurde hingegen mit Jonathan Meeses "Mondparsifal" die große Musiktheaterproduktion der heurigen Ausgabe. Der deutsche Universalkünstler brachte als Regisseur gemeinsam mit dem Komponisten Bernhard Lang eine performative Hommage und Fortdenkung des Wagner-Oeuvres auf die Bühne, die sowohl Wagnerianer als auch die Freunde des Happenings mehrheitlich zu überzeugen wusste. Schlechter ging die Lotterie für Mozart-Freunde aus: Die postkoloniale Befragung der "Entführung aus dem Serail" unter dem Titel "Les Robots ne Conaissent pas le Blues" fegte ob ihrer vordergründigen und dreisten Banalität schnell die Zuschauerränge leer.

Zierhofer-Kin punktete stattdessen vor allem mit jenen Dingen, die er zum Teil vom Kremser donaufestival mit in die Bundeshauptstadt genommen hat. Neben der gelungenen Uraufführung des neuen Saint-Genet-Werks "Promised Ends", war dies allen voran die Performance-Schiene, die mit dem Performeum nahe dem Hauptbahnhof gleich eine eigene Zentrale bekommen hat. Das ehemalige Fabriksgelände wird seit Festwochen-Beginn mit abwechslungsreichen Angeboten bespielt, von queerer Musikkultur über Daniel Lies mehr als lebendigem "Death Center For The Living" bis zu kurzfristig gesetzten Interventionen von God's Entertainment. Weitgehend umsonst geschwitzt hat man hingegen beim gesellschaftskritischen und kunsttheoretischen Diskurs im Hamam.

Neben dem aufblasbaren Sauna-Erlebnis zog auch die große Festwochen-Ausstellung "The Conundrum of Imagination" in das Backsteingebäude ein, hatte ihren Hauptort allerdings im Leopold Museum: Allen voran hier ging die klug zusammengestellte Schau mit höchst unterschiedlichen Positionen auf Kolonialismus, dessen Ursprünge und Auswirkungen ein. Dass der Schritt an die Peripherie funktioniert, hat beispielsweise die Clubkultur-Schiene "Hyperreality" bewiesen, die an vier Abenden das Schloss Neugebäude mit elektronischen Klängen zum Vibrieren brachte. Tanzen in ungewohntem Umfeld, das machte definitiv Lust auf eine Wiederholung im nächsten Jahr.

Getanzt wurde auch im Rahmen der "Antifascist Ballet School", die in Einkaufszentren Menschen erreichen wollte, die sonst nicht ins Ballett gehen. Wer sich eine niederschwellige Einführung zu diesem Tanz erwartete, wurde zumindest bei der Auftaktveranstaltung, die kurzfristig von der Lugner City in den angrenzenden Park verlegt werden musste, enttäuscht. Sie wurde vor allem Meditationsübungen gewidmet. Wenig besucht, aber durchaus eindrücklich war die Performance des spanischen Konzeptkünstlers Santiago Sierra, der in den abgedunkelten Stallungen des mumok im Museumsquartier 48 Stunden lang ohne Unterbrechung die Namen der Opfer des Syrienkriegs verlesen ließ.

Zu den wohl spannendsten Produktionen im Jahr 1 der neuen Intendanz gehörten jene, mit denen der Kanadier Darren O'Donnell und sein Kollektiv "Mammalian Diving Reflex" (benannt nach dem Tauchreflex bei Säuglingen) gastierte. Es handelte sich um zwei bereits bewährte Konzepte, die speziell für Wien adaptiert wurden. Zunächst ließ man fröhliche Volksschüler auf Freiwillige los, um ihnen mit Schere, Klinge und Rasierapparat zu Leibe zu rücken. "Haircuts by Children" nannte sich die Aktion, für die ein Hipster-Friseursalon umfunktioniert wurde. Dass man auch Kindern zutrauen kann, Erwachsenen die Haare zu schneiden, sollte damit gezeigt werden. Sowohl Jung-Frisöre als auch die Kundschaft waren mit Begeisterung dabei - trotz diverser Styling-Katastrophen.

Das andere Ende der Lebensspanne stand im Mittelpunkt von "All the Sex I've Ever Had". Dass ältere Semester über ihr hoffentlich bewegtes Leben erzählen, birgt ebenfalls Potenzial, katastrophal zu werden - nämlich katastrophal peinlich. Doch die Untiefen des Seelenstrip-Kitsches Marke Reality-TV wurden souverän umschifft. Im Rahmen einer sehr exakt durchchoreografierten Darbietung, bei der tatsächlich auch getanzt wurde, trugen die Protagonisten berührende Geschichten aus ihrem Leben vor. Enttäuscht wurden lediglich Voyeure: Um Sex ging es dabei nur am Rande.

Und so bleibt spannend, welche Richtung die Festwochen im zweiten Jahr unter ihrem neuen Intendanten einschlagen werden: Zurück in den Hafen altbewährter Formate, oder erst recht auf zu neuen Ufern, sichere Anker hinter sich lassend?