Da Sie zurzeit sehr viel um die Ohren haben und unterwegs sind, findet dieses Interview per E-Mail statt. Wo sind Sie denn gerade?
Martin Kušej: Heute (Anm.: am 11. Februar) bin in Hamburg bei meinem Sohn Lorenz. Abends muss es Wienerschnitzel und nachher Topfenknödel geben! So habe ich den halben Tag damit verbracht, hier an der Nordsee g’scheite Semmelbrösel und Zwetschgenröster zu finden ...
Sie haben am Residenztheater für die aktuelle Saison eine „klare politische Richtung“ vorgegeben und mit Schiller und Sartre begonnen. Warum waren Ihnen „Die schmutzigen Hände“ so wichtig?
Ich fand das Stück einfach immer schon toll. Ein junger, idealistischer Mann möchte die Gesellschaft verändern, politisch aktiv sein – und muss erkennen, dass die politische Realität aus brutalen, rationalen Mechanismen der Macht besteht, die ihn schließlich zerstören. Die Schicksale von Hugo, seiner jungen Frau Jessica und dem erfahrenen Revolutionär Hoederer sind hier menschlich und spannend dargestellt.

Sartres "Die schmutzigen Hände" mit Norman Hacker (rechts) als Pragmatiker Hoederer
Sartres "Die schmutzigen Hände" mit Norman Hacker (rechts) als Pragmatiker Hoederer © Baumann/Residenztheater


Was fällt Ihnen zu Sartres fiktivem Staat Illyrien ein – wo doch Kärnten im 19. Jahrhundert Teil des Königreichs Illyrien war ....
Unsere Aufführung vermeidet konkrete historische oder geografische Punkte. Das bedeutet, wir versuchen das Allgemeingültige, Immerwährende in politischen Prozessen abzubilden. Insofern habe ich durch meine Herkunft aus Kärnten, ehemals Illyrien, enorme Vorteile: Es gibt in Europa wenige Landstriche, in denen man gesellschaftspolitische Prozesse so drastisch und komprimiert erleben kann.


Sie sind Kärntner Slowene. Was sagen Sie zum Murks bei der neuen Kärntner Landesverfassung?
Egal ob Slowene oder nicht, es müsste doch jedem halbwegs demokratisch denkenden Menschen einleuchten, dass eine Landesverfassung tatsächlich für alle Menschen eines Landes zu gelten hat. Aber ignorante, populistische Dummköpfe springen ja derzeit hinter jeder Ecke hervor.
Bei einer Veranstaltung an der Kunstuni Graz haben Sie sich als „alten Sack, der in einem Staatstheater sitzt“ bezeichnet. So schlimm?
Wie man’s nimmt ... Im konkreten Fall habe ich im Dialog mit den Studenten darüber gesprochen, was im besten Fall in 30, 40 Jahren rauskommt, wenn man nach dem Studium durch sämtliche Stadien des Theatermachens durchgegangen ist. Irgendwann müssen die jungen Menschen übernehmen, die Dinge voranbringen, die Kunst neu beleben.
In Klagenfurt zeigen Sie regelmäßig eine Inszenierung von sich her - was kommt nächste Saison?
Im Moment bereiten wir in München eine neue, eigenständige Version der alten Phädra-Geschichte vor. Florian Scholz, der weiter vorausplanen muss als wir, hat jedenfalls schon Interesse angemeldet. Diese regelmäßigen Klagenfurter Gastspiele meiner Inszenierungen haben Tradition aus der Zeit Dietmar Pflegerls, und ehrlich gesagt: Mir liegen sie sehr am Herzen! Meine Verbundenheit mit diesem Haus und den Kärntner Zuschauern ist groß.


Nach acht Jahren sind Sie mit „Hexenjagd“ als Regisseur ans Wiener Burgtheater zurückgekehrt. Wie kommen Sie mit dem hohen Erwartungsdruck, der Ihre Inszenierungen begleitet, zurecht?
Das ist vielleicht eine große Fähigkeit von mir: Ich liefere zu besonderen Anlässen oder Erwartungen meistens Top-Leistungen ab. Das begann mit „Kabale und Liebe“, als Pflegerl wollte, dass hier mal richtig die Bude brennt, oder bei den Salzburger Festspielen 2002 mit „Don Giovanni“, der letzte echte Welt-Erfolg einer Festspieleröffnung. Genauso habe ich dort meine eigene Direktion mit dem „König Ottokar“ doch ganz passabel ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt, ebenso wie ich Nikolaus Bachlers Münchener Opern-Intendanz mit „Macbeth“ eröffnet und damit auf ein neues Niveau gehoben habe. Auch das jetzige Wiener Comeback war unzweifelhaft ein Kometeneinschlag, handwerklich perfekt, aber natürlich wieder einmal überhaupt nicht so, wie es alles erwartet hatten. Das ist schon enorm wichtig für mich: irgendwelche Erwartungen nicht zu erfüllen!
Sie sind bis 2021 Direktor am Münchner Residenztheater. Zwischendurch wurden Sie immer wieder als Burgtheaterdirektor gehandelt. Wäre das – aus heutiger Sicht – eine Option?
Jedes große Theater ist für mich eine Option. Nur „Burgtheater-Direktor“ zu sein, eher weniger. Da muss es eine andere Perspektive geben, ein Theater, eine Kulturlandschaft zu prägen, etwas zu verändern. Wenn ein neuer „Spirit“ gefragt ist, dann wäre ich richtig.
Ihre Inszenierung von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ in Bologna hat wegen Querverweisen auf den IS im Vorfeld für Aufregung gesorgt. Wie ist die Sache ausgegangen?
Naja, genau so wie schon vor eineinhalb Jahren in Aix en Provence: Erst riesen Debatten und dann ist die Bude voll, die Leute setzen sich heftig mit Oper auseinander – und das aus ihrer heutigen Realität heraus. Was will man mehr mit einem Stück, das über 200 Jahre auf dem Buckel hat?
Wie sehr fehlt Ihnen bei Operninszenierungen Nikolaus Harnoncourt?
Nikolaus hätte wie wenige andere, das „Ewiges Leben“-Gen verdient! Er fehlt mir nicht, denn er ist sowieso präsent. Ich versuche sehr gewissenhaft, sein enormes künstlerisches Verständnis und eben sein „Brennen“ für eine Sache, in meiner Arbeit fortzuführen.
Auf welche Arbeit freuen Sie sich am meisten?
Ins Lagerhaus fahren, Werkzeug kaufen, den Kampf mit meinem ewig verwilderten Garten in Maria Saal aufnehmen. Oder für viele Gäste ein mindestens sechsgängiges Menü kochen.