Am Sonntag ist bekannt geworden, dass die Türkei völlig überraschend die österreichischen Ausgrabungen in Ephesos gestoppt hat. Was ist genau passiert?
SABINE LADSTÄTTER: Ich war letzten Dienstag in Wien und habe dort Informationen bekommen, dass es ein türkisches Schreiben gibt, worin so etwas verlangt wird. Dann bin ich in die Türkei geflogen und habe am Mittwoch in der Früh eine Mitteilung vom Kulturministerium erhalten, referierend ein Schreiben des türkischen Außenministeriums, dass die Grabungen unverzüglich einzustellen sind.
Mit welcher Begründung?
LADSTÄTTER: Ohne Begründung. Informell hat man mir natürlich gleich gesagt, warum. Gestern kam dann auch die offizielle Agenturmeldung, in welcher die politischen Spannungen zwischen Österreich und der Türkei als Gründe angegeben wurden.
Hatten Sie in den letzten Tagen ein kleines Déjà-vu? Schließlich ist Ihre eigene Bestellung zur Grabungsleiterin auch nicht ganz ohne Konflikte zwischen Österreich und der Türkei über die Bühne gegangen . . .
LADSTÄTTER (überlegt lange): Nein, eigentlich nicht. Weil es nicht so ist, dass ich das diesmal nicht befürchtet hätte.
Im Gegensatz zum Schlagabtausch vor acht Jahren, als man Ihnen die nationale Gesinnung Ihres Vaters (Anm.: der Kärntner Abwehrkämpferbund-Obmann Fritz Schretter) zur Last legen wollte, war die aktuelle Entwicklung für Sie also absehbar?
LADSTÄTTER: Nach dem verbalen Schlagabtausch der letzten Monate hatte ich schon große Sorgen. Auch wissend, wie die Emotionen hier in der Türkei bei gewissen Äußerungen hochkochen können. Da meine ich gar nicht so sehr die politischen. Nach dieser Schlagzeile „Türkei erlaubt Sex mit Kindern“ habe ich gewusst: Das trifft die türkische Seele hart, weil die Türkei ein so kinderfreundliches Land ist. Mir war klar: Das wird nur schwer wieder zu planieren sein.
Haben Sie das Gefühl, dass von österreichischer Seite zu viel Öl ins Feuer gegossen wurde?
LADSTÄTTER: Ja. Es gibt Dinge, die haben hier zu großen Verletzungen geführt. Die Menschen hier hätten so viel moralische Unterstützung gebraucht. Die haben sich nach dem Putschversuch so alleingelassen gefühlt von Europa. Ich habe hier eine völlig andere Realität erlebt als zu Hause in Österreich. Ich habe hier Menschen gesehen, die mich gefragt haben: „Warum unterstützt ihr uns jetzt in dieser Phase nicht? Ihr seid doch unsere Freunde! Warum lasst ihr uns alleine?“ Dass es dann ausgerechnet Leute wie uns trifft, die geblieben sind und mit dem Land solidarisch waren, ist ganz besonders bitter.
Die Grabungssaison musste nun um zwei Monate früher beendet werden als ursprünglich geplant. Welche Konsequenzen hat das für Ihr Archäologenteam und die Ausgrabung selbst?
LADSTÄTTER: Natürlich mussten die Mitarbeiter gekündigt werden. Wir haben 55 türkische Angestellte. Insgesamt sind es um die 100 Mitarbeiter und internationale Kooperationspartner. Restaurierungsprojekte, die für Herbst geplant waren, können jetzt nicht stattfinden. Im Sommer wäre es dafür viel zu heiß und zu trocken. Das ist natürlich auch für die Ruinen ein Problem. Die Winter können hier sehr hart sein. Aber nichtsdestotrotz. Das ist jetzt Realität und dieser Realität müssen wir uns stellen.
Handelt es sich in Ephesos um einen vorübergehenden Grabungsstopp oder ist das nun das Ende einer 120-jährigen österreichischen Tradition?
LADSTÄTTER: Die Meldungen sagen, dass man sich von türkischer Seite ansehen wird, wie sich die bilateralen Beziehungen entwickeln werden. Und auf Basis dieser Entwicklungen wird dann die Entscheidung für die Zukunft getroffen werden. Wobei man dazu sagen muss, dass diese Entscheidung rein politischer Natur sein wird. Aus wissenschaftlicher Sicht gab es überhaupt keinen Grund, uns die Grabungslizenz zu entziehen. Das wurde uns auch so kommuniziert.
Welche jährliche Summe wird eigentlich in die wissenschaftliche Erforschung von Ephesos investiert?
LADSTÄTTER: Wir haben ungefähr 400.000 Euro an staatlichen Geldern und rund 800.000 Euro an privaten Mitteln zur Verfügung. Da bekommen wir natürlich ein weiteres Problem: Wenn private Sponsoren kein Vertrauen mehr haben, dann werden sie uns auch nicht mehr unterstützen.
Was empfehlen Sie der österreichischen Regierung in der jetzigen Situation?
LADSTÄTTER: Meine große Empfehlung ist: Fragen Sie die Menschen, die das Land wirklich gut kennen! Und das bin nicht nur ich. Ich glaube, es täte allen gut, wenn man sich richtig informiert und differenzieren lernt, wenn man jemanden fragt, der zum Beispiel den Putschversuch und die Zeit danach persönlich erlebt hat.
Wie haben Sie den Putsch persönlich erlebt?
LADSTÄTTER: Das war eine dramatische Nacht. Stellen Sie sich vor, das Parlament in Wien würde bombardiert werden. Was das für die österreichische Identität bedeuten würde! Wir hatten an diesem Abend ein offizielles Essen mit Vertretern der Unesco und örtlichen Politikern. Ephesos ist ja seit 2015 offizielles Weltkulturerbe. Und um 10 Uhr gab es dann plötzlich einen Massenaufbruch. Ich sehe dann am Handy die Meldung „Putschversuch in der Türkei“. Dann sind wir ins Grabungshaus, haben alle Mitarbeiter zusammengerufen und die ganze Nacht hindurch die Medien verfolgt. Und in der Früh haben wir, so skurril das klingen mag, beschlossen, wieder weiterzuarbeiten.
Der Putsch selbst gibt nach wie vor viele Rätsel auf. Haben Sie eine persönliche Vermutung, wer dahintersteckt?
LADSTÄTTER: Ich habe mit sehr vielen Freunden und Kollegen darüber gesprochen. Ich habe mittlerweile ein Bild, das immer schärfer wird und das nicht weit entfernt ist von der offiziellen Darstellung, wie man sie hier im Land hören kann.