Vor Ihrer ersten Saison haben Sie Ihre grundsätzlichen Ziele so definiert: Die Menschen emotional erreichen, Lust auf Anderes machen, das Haus öffnen. Was hat sich denn schon erfüllt?


NORA SCHMID: Man kann immer etwas besser machen, aber wir haben Akzente gesetzt, auch mit kleinen Schritten, und sind klar weitergekommen. Ein Beispiel waren die Nachgespräche nach Bohuslav Martinus „Griechischer Passion“, da mussten wir unsere Gäste manchmal schon bitten, nach Hause zu gehen (lacht). Nein, im Ernst, der Austausch mit dem Publikum ist uns einfach sehr wichtig.


Zum Saisonauftakt im Vorjahr haben Sie sich mit Schrekers „Fernem Klang“ als gelernte Schweizerin einen 4000er vorgenommen, heuer ist es mit Wagners „Tristan und Isolde“ gleich ein 8000er. Haben Sie die Sauerstoffflasche mit?


SCHMID: Sauerstoff brauchen vor allem die Sänger und Bläser! Aber, ja, es ist schon eine riesige Herausforderung für alle. Das Stück war ein Wunsch von Dirk Kaftan, er hat es bereits in Augsburg dirigiert. Außerdem war der „Tristan“ in der traditionsreichen Wagner-Stadt Graz sehr lang nicht mehr zu sehen. Und es ist einfach ein Meisterwerk, fast nicht fassbar, in dessen Klang, Gefühl, diesen so ganz anderen Sprachduktus man herrlich eintauchen kann. Mit Zoltán Nyári und der jungen Gun-Brit Barkmin, die gerade an großen Häusern wie der Wiener Staatsoper eine wunderbare Karriere macht, präsentieren wir übrigens zwei Debütanten in den Hauptrollen.


Dirk Kaftan zieht ja nach dieser Saison nach Bonn weiter. Wie weit ist die Suche nach einem neuen Chefdirigenten gediehen?


SCHMID: Es gibt eine große Zahl an Interessierten an dieser Position, mit einigen führe ich inzwischen schon intensive Gespräche. Wir sind gerade dabei, die Termine für Vordirigate in den kommenden Monaten abzustimmen. Und ich bin zuversichtlich, dass ich das Team der Oper Graz ab der Saison 17/18 wieder mit dem idealen Partner oder der idealen Partnerin komplettieren werde.


Bei Ihrer Spielplanpräsentation im April war auffallend, dass Sie fast die halbe Zeit über Kulturvermittlungsprogramme sprachen. Macht die Not aller Klassikhäuser – das Publikum überaltert und schwindet – erfinderisch?


SCHMID: Keine Not! Kulturvermittlung gehört zu unserer ureigensten Aufgabe. Man sagt immer, das sei eine Investition in das Publikum von morgen. Ich sage: in das Publikum von heute. Natürlich sind Häuser wie unseres gefordert, das zu bieten, was Schulen oder Familien oft nicht mehr leisten können oder wollen. Aber die Angebote richten sich an alle – an die Jüngsten, etwa mit unseren „Sitzkissenkonzerten“, aber auch an treue Besucher, die immer noch mehr über uns, die Künstler, die Produktionen erfahren wollen. Die Resonanz darauf ist jedenfalls sehr gut. Die Vielfältigkeit ist ja unser Kulturauftrag, und je bunter, überraschender, ansprechender wir diese gemeinsam mit dem Publikum leben können, desto besser.


Was war denn eigentlich Ihre „Einstiegsdroge“ in die Zauberwelt der Oper?


SCHMID: Ich habe schon ab vier Jahren Geige gelernt, bin als Jugendliche von selbst viel ins Theater gegangen, auch Puppentheater hat mich fasziniert. Und dann stolperte ich als Teenager über Verdis „Rigoletto“. Ab da ging’s los: Opernführer lesen, Gesamtaufnahmen kaufen . . .


Im April präsentierten Sie für Blinde und Sehbehinderte mit Rossinis „Barbier von Sevilla“ erstmals in Österreich Oper mit akustischen Simultanerklärungen. Gibt’s ein Nachfolgeprojekt?


SCHMID: Im März machen wir auf diese Art „Roméo et Juliette“ von Charles Gounod, nach „Tristan und Isolde“ zwei weitere große Liebende. Das Projekt mit dem „Barbier“ war fantastisch und sehr berührend. Es gab wunderbare Begegnungen und Gespräche auf dem Parcours vor der Aufführung, ich bin dann selbst mit geschlossenen Augen im Saal gesessen. Der schönste Dank für dieses Experiment kam von einer Frau: „Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich das in meinem Leben noch einmal sehe!“


Neue Künstler im Ensemble?


SCHMID: Einige. Etwa den Ballettmeister Sascha Pieper, drei Tänzer, darunter die Grazerin Sigrid Glatz. Pauli Jämsä aus Finnland als Korrepetitor. Die junge serbische Sopranistin Sonja Sari(´c) aus unserem eigenen Opernstudio und den weißrussischen Tenor Pavel Petrov, der den Alfredo in Verdis „La Traviata“ singen wird.


Mit Startenor Rolando Villazón haben Sie sich für Giacomo Puccinis Oper-Operette-Soufflé „La Rondine“ auch einen ungewöhnlichen Regisseur geangelt.


SCHMID: Die Ursprungsidee war, an die „Luisa Miller“ anzuknüpfen. Ich war vor eineinhalb Jahren im Austausch mit der Deutschen Oper Berlin, und wir kamen auf „La Rondine“. Villazón hat das Stück dort im Jänner herausgebracht und wird es mit unserem Ensemble neu einstudieren. Die Geschichte über ein Paar, das sich entscheidet, sich zu trennen, ist teils schwer, teils leicht – das entspricht ja Villazón.


Mit dem Blick auf die ganze Saison: Wenn Sie denn nicht Intendantin in Graz wären, dann . . .


SCHMID: . . . würde ich als Besucherin relativ oft herkommen.


Nur relativ?


SCHMID: Immer natürlich! Das Gesamtpaket ist wichtig, da müssen Konstellationen und Balancen, Rhythmen und Kontraste stimmen. Gounods „Roméo et Juliette“ war mir sehr wichtig, weil es seit 1906 nicht mehr hier gespielt wurde. „Der Gefangene“ von Luigi Dallapiccola musste einmal sein, weil er in Graz entscheidende Impulse für seine Entwicklung als Komponist erfuhr. Bellinis „Norma“ gilt es auch erst einmal zu erklimmen, aber mit Irina Churilova aus Nowosibirsk war uns nach ihrem Vorsingen sofort klar: Die ist es! Und im Ballettklassiker „Nussknacker und Mäusetraum“ gilt es für unseren Direktor Jörg Weinöhl, harte Nüsse zu knacken.


Drei Wünsche an die Opernfee?


SCHMID: Ein offenes, neugieriges Publikum. Gesundheit für alle Mitarbeiter. Und dass uns Fortuna treu bleibt.


Integrationswillige müssen in Graz natürlich nicht nur Deutsch, sondern Steirisch lernen. Wie steht’s mittlerweile damit?


SCHMID: Verstehen kann ich alles, sprechen nichts. Aber meine Schweizer Freunde behaupten, dass sich der Klang meiner Stimme verändert hätte. Und mein bald dreijähriger Sohn sagt oft: „Gemma eini! Gemma aussi!“

INTERVIEW: MICHAEL TSCHIDA

Weltklasse-Schlagzeugerin Evelyn Glennie
Weltklasse-Schlagzeugerin Evelyn Glennie © AP
Chefdirigent Dirk Kaftan geht in seine letzte Spielzeit, bevor er nach Bonn weiterzieht
Chefdirigent Dirk Kaftan geht in seine letzte Spielzeit, bevor er nach Bonn weiterzieht © Werner Kmetitsch