Am 12. September wird im Wiener Konzerthaus mit Ihrem Trompetenkonzert ein Auftragswerk erklingen. Wie autonom arbeiten Sie in diesen Fällen? Wie stark kooperieren Sie mit den Solisten?

Krzysztof Penderecki: Eigentlich kaum. Ich schreibe doch nun seit mehr als 60 Jahren Musik. Wenn man immer mit Orchestern zu tun hat, kennt man alle Instrumente und ihre Klangfarbe. Und die Interpreten können heutzutage alles spielen - das war früher nicht der Fall. Auch die Instrumente sind mittlerweile viel besser, weshalb man also keine Einschränkungen beim Komponieren hat.

Sie arbeiten derzeit ja an "Phädra" für die Wiener Staatsoper...

Penderecki: Ich schreibe aber gleichzeitig am 4. Streichquartett und einem großen Requiem anlässlich 60 Jahre Aufstand in Budapest. Wir waren zu der Zeit damals ja auch in Polen sehr engagiert und der Aufstand gegen die Russen in Ungarn war ein Schock. Wir haben damals als Studenten Blut gespendet für die Opfer. Und die beiden Werke müssen vorher fertig werden.

Wie ist denn der Stand bei "Phädra"?

Penderecki: Ich habe Skizzen und gehe das Ganze sehr engagiert an. Aber da ich noch Zeit habe, muss ich mich jetzt konzentrieren. Ich werde im Dezember allmählich anfangen, die Partitur zu schreiben. Und das dauert vielleicht ein Jahr.

Sie planen einen Einakter ohne Pause?

Penderecki: Es wird eine zweistündige Oper. Ich möchte keine Pause. Man konzentriert sich auf das Werk und eine Pause reißt einen da heraus. Ich mag das nicht.

Sie verfassen ja auch das Libretto, basierend auf Racine. Wie nah halten Sie sich hier an der Vorlage?

Penderecki: Ich habe weitere Texte zu Racine hinzugenommen, weil es bei ihm keinen Chor gibt. Ich liebe Chormusik aber und kann mir nicht vorstellen, eine Oper ohne sie zu schreiben. Deshalb nehme ich Euripides und Seneca dazu.

Die "Phädra" wird Ihre erste Oper nach "König Ubu" vor 30 Jahren sein. Wird das neue Werk eher an den Vorläufer anknüpfen oder sehen Sie einen Bruch?

Penderecki: Wenn Sie mich fragen, ist die Entwicklung dazu ganz organisch. "Phädra" wird mit meinen frühen Werken wie "Teufel von Loudun" verbunden sein. Aber die musikalische Sprache wird wohl etwas anders werden.

Ihre instrumentalen Werke sind zugleich erfolgreicher als Ihre bisherigen Opern. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Penderecki: Es ist nun mal viel leichter, ein Streichquartett oder eine Symphonie aufzuführen als eine Oper. Aber von "Teufel" gab es immerhin fast 30 Inszenierungen. Aber moderne Opern werden einfach seltener in den Häusern gespielt. Das ist vor allem eine finanzielle Frage. Gute Inszenierungen kosten viel Geld. So hat es die zeitgenössische Oper schwerer, ins Repertoire zu kommen als ein "Rigoletto". Das Publikum, das in die Oper geht, ist halt nicht gerade dasjenige, das sich fürs Moderne begeistert.

Sie selbst arbeiten indes immer an mehreren Werken gleichzeitig?

Penderecki: Ich habe zu viele Ideen. Und ich nehme zu viele Aufträge an. Mir ist auch langweilig, wenn ich zwei, drei Monate nur an einem Stück schreibe. Aber ich habe nur zwei Orte, wo ich schreibe. Hier in meinem Landhaus und in meinem Haus in Krakau. Dort habe ich meinen fast fünf Meter langen Tisch. Ich stehe auf und schreibe bis zum Nachmittag, manchmal auch nur bis Mittag. Komponieren kann ich aber nur in der Früh.

Sie Komponieren also ohne Klavier und Computer?

Penderecki: Am liebsten denke ich frei und muss nicht alles spielen. Manche Komponisten schreiben mit einer Hand und spielen mit der anderen. Das ist bei der großen Form störend. Man muss da abstrakt denken und sich deshalb unabhängig davon machen, ob man es auf dem Klavier überhaupt spielen kann. Ich bin kein Improvisateur, der eine halbe Stunde spielt und dann auf ein Thema kommt.

Interessiert Sie denn die Musik, die von Kollegen geschrieben wird?

Penderecki: Überhaupt nicht. Das würde mich stören - es ist zu gefährlich, wenn man sich zu viel mit der Musik anderer Komponisten beschäftigt. Manchen Kollegen fühle ich mich aber verbunden.

Auch Zeitgenossen?

Penderecki: Das nun gerade nicht. Außer vielleicht mit Schostakowitsch, den ich persönlich in Moskau kennengelernt habe.

Wie sehen Sie heute selbst die Avantgarde, der Sie in den 1960ern ja selbst nur kurz angehörten?

Penderecki: Die eigentliche Avantgarde, in der man Neues schuf, war nur sehr kurz. Jetzt redet man schon Jahrzehnte über eine Avantgarde, die nicht mehr existiert. Wir schreiben heute ganz normal Musik - mit allen Elementen von damals, aber eben nicht nur. Um vorwärtszukommen, muss man manchmal auch zwei Schritte zurück gehen. Sonst steht man an einer Wand an und weiß nicht, wohin.

War Ihnen das damals schon bewusst?

Penderecki: Neue Klänge, neue Effekte, neue Notation - ich dachte damals, dass es so bleiben würde. Das hat sich als falsch erwiesen. Im Grunde genommen hat sich die Musik seit Anfang der 60er-Jahre nicht sehr viel weiterentwickelt. Es ist kaum etwas Neues hinzugekommen. Vielleicht braucht man für diesen zweiten Schritt etliche Jahrzehnte.

Verstehen Sie dieses Europäische Zentrum auch als ein politisches Statement?

Penderecki: Ich wollte das Ganze nicht auf Polen begrenzen. Es ist geöffnet für alle - nicht nur für Europäer. Wir haben auch viele Russen und Amerikaner als Gäste. Das ist alles noch im Entstehen, auch wenn es eigentlich immer voll ist. Wir haben zwischen 80 und 100 Konzerten pro Jahr - und die sind immer voll. Wir dürfen wegen der europäischen Finanzierung die Karten noch nicht verkaufen. Und so kommen hier die Bauern aus der Gegend, ziehen sich fein an und hören das erste Mal überhaupt klassische Musik in ihrem Leben. Hier war doch seit Anfang der Welt nichts außer Feldern und Kühen!

 Ist dieser Bildungsauftrag auch ein politisches Statement gegen die aktuelle Politik der polnischen Regierungspartei PIS?

Penderecki: Es sind schwierige Zeiten für uns. Im Grunde genommen macht die PIS alles kaputt. Sie wechselt an den entscheidenden Positionen alle Personen aus und bringt ihre eigenen Leute rein, die keine Ahnung haben. Das ist eine Säuberung, die jetzt passiert - das ist sehr gefährlich. Ich denke mir das erste Mal überhaupt, ob es richtig war, dass ich hier in Polen geblieben bin.

Sehen Sie sich persönlich bereits mit Repressalien konfrontiert?

Penderecki: Wir bekommen noch Geld vom Kulturministerium für das Zentrum - aber wer weiß, wie das in Zukunft weitergehen wird. Es ist viel schlimmer als bei den Kommunisten - die haben immerhin die Kultur unterstützt.

Wie sehen Sie die Zukunft Polens angesichts der Entwicklung der vergangenen Monate?

Penderecki: Wir wissen nicht, was die PIS eigentlich will. Man hat nur den Eindruck, dass sie jetzt erst mal alles zerstören wollen. Aber wir haben keine Ahnung, wie es weitergehen wird. Meine Frau etwa, die das Beethoven-Festival organisiert, versucht seit acht Monaten erfolglos ein Gespräch mit dem neuen PIS-Kulturminister Piotr Glinski zu bekommen. Es geht da um die schiere Machtgier. Das ist sehr schade. Wir hatten eine sehr gute Entwicklung genommen. Aber die Kirche unterstützt sehr diesen Schwenk. Die Kirche hat an Einfluss verloren und sieht darin nun eine Chance.

Eine Emigration kommt für Sie nicht infrage?

Penderecki: Das ist zu spät für mich. Ich verliere ein bisschen den Boden unter den Füßen. Es gibt keine Stabilität, sondern nur den ewigen Kampf.