Mit seiner autobiografischen Serie "Alle Toten fliegen hoch" hat Meyerhoff seit 2007 sowohl auf der Bühne als auch in den Buchhandlungen großen Erfolg. Mit sprachlicher Prägnanz und Sinn für Effekt und Atmosphäre hat er in zwei Romanen mit über 500.000 verkauften Exemplaren und etlichen Leseabenden (s)ein an tragischen und skurrilen Begebenheiten reiches Leben ausgebreitet, vom Tod des geliebten Bruders über das Aufwachsen in dem von seinem Vater geleiteten psychiatrischen Krankenhaus bis zum Austauschjahr in Amerika. In Band drei, dessen Titel ein Zitat aus dem Abschiedsmonolog von "Die Leiden des jungen Werther" ist (der erste Bühnenerfolg Meyerhoffs), prallen nun zwei Welten aufeinander, die Geborgenheit des Enkels bei den Großeltern und seine gleichzeitigen Leiden auf der renommierten Otto-Falckenberg-Schule in München.

Das Buch ist immer wieder zum Brüllen komisch. Meyerhoff scheut sich nicht, das in absonderliche Rituale erstarrte Leben der Großeltern in ihrer verstaubten, eine längst vergangene Zeit konservierenden Villa in Nymphenburg ins Groteske zu steigern, und er schont sich selbst nicht, wenn es darum geht, die eigene völlige Talentlosigkeit beim Versuch, den Anforderungen eines regulären Schauspielunterrichts gerecht zu werden, mit besonderen Höhepunkten seines Scheiterns zu belegen. Aber das Buch ist auch voller Liebe und voller Schmerz, denn Verehrung und innige Zuneigung des Enkels zu seinen Großeltern, bei denen er während als Schauspielschüler wohnen durfte, sind in jeder Zeile deutlich zu spüren.

Beide Großeltern waren prominente, hoch kultivierte Teilnehmer am deutschen Geistesleben: Die Schauspielerin Inge Birkmann war selbst Absolventin und später Lehrerin an der Falckenberg-Schule, der Philosoph Hermann Krings war an vielen Universitäten tätig und auch Vorsitzender des Deutschen Bildungsrats. Ihren von gepflegten Konversationen und gepflegtem Alkoholgenuss geprägten Tagesablauf schildert der "Lieberling" wie einen Bunuel-Film. Höhepunkt des innigen Enkel-Großeltern-Verhältnisses wird ein gemeinsames Filmprojekt, bei dem der Schauspielschüler kaum eigenen Text hat, aber selbst diesen nur so ungenügend vorbringen kann, dass er schließlich synchronisiert wird. Den großelterlichen Besuch seines Erst-Antretens an den Münchner Kammerspielen, als er in der Walpurgisnachtszene des "Faust" mit einem riesigen Gummischwanz zu wichsen hat, kann der Enkel durch fadenscheinige Ausreden gerade noch verhindern.

Während alle anderen Mitschüler seines Jahrgangs bald von prominenten Theatern umworben und engagiert werden, interessiert sich für den Absolventen Joachim Meyerhoff zunächst niemand. Erst als sich ein Engagement in Kassel ergibt, verlässt der Enkel die Geborgenheit des großelterlichen Nests. Schon bald muss er immer wieder aufs Neue an ihre Seite eilen: Ein rascher körperlicher Verfall lässt die geliebten Großeltern 2004 im Abstand von nur wenigen Monaten sterben. "Kaum, dass ich an sie denke, sind sie auch schon da, sitzen in ihren Sesseln und stoßen mit mir an", heißt es am Ende. "Verlässlicher Besuch aus dem Totenreich. Es kommt mir so vor, als würde es sie freuen, wenn ich mich an sie erinnere."

Die Leser und Fans freuen sich dagegen bereits jetzt auf Band vier, der hoffentlich folgen wird. Denn das Geheimnis, wie aus einem verklemmten, schüchternen Versager ein gefeierter, charismatischer Bühnenstar wurde, muss unbedingt noch gelüftet werden.

(S E R V I C E - "Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke" von Joachim Meyerhoff, Kiepenheuer & Witsch, 352 S., 22,70 Euro, Buchpräsentation am 12. November, 20 Uhr im Akademietheater)