Das zaghafte Pfeifen im Dunkeln zum Auftakt von zweieinhalb turbulent-unterhaltsamen Stunden nützt Sosias, dem treuen Diener von Thebens Feldherr Amphitryon, nichts. Er wird mit dem Kriegsheimkehrer hineingezogen in einen verstörenden Strudel aus Täuschungen, Selbstzweifeln und Gefühlschaos. Identitäts-Wirrwarr gibt's eben nicht nur in Zeiten von Facebook und Internet, auch die Antike kann da etwas vorweisen.

Heinrich von Kleists göttliches Verwirrspiel rund um Jupiter, der in Gestalt von Amphitryon dessen Frau Alkmene verführt, ist allerdings mehr als nur eine frivole Verwechslungskomödie. Wenn die Doppelgänger den Originalen ihre Identität streitig machen und sich der vergötterte Ehemann für die liebende Frau plötzlich in "Geliebten" und "Gatten" aufspaltet, wird der antike Stoff zur existenziellen Frage: Wodurch zeichnet sich das Individuum aus, was macht den Wesenskern von Identität aus, "Wer bin ich?"? Man betrügt und wird betrogen - wissentlich Göttervater Jupiter und Götterbote Merkur, unwissentlich Alkmene, die den Gott in ihrem Mann und ihren Mann im Göttervater liebt. Amphitryon, der grobe Klotz, weiß mit seinem überirdischen Nebenbuhler nicht umzugehen und durchleidet seine innere Zerrissenheit bis an die Grenzen des Wahnsinns.

Tragödie in der Komödie

Regisseur Michael Sturminger legt dieses fantastische Wechselspiel in stylish-zeitlosem Ambiente als temporeiche Posse mit Kleistscher Sprache an - der allerdings gelegentlich die Luft ausgeht. Wiederholungen im Text lassen die Handlung nur langsam vorankommen, die Tragödie in der Komödie wird stellenweise durch übertriebenen Slapstick überdeckt.

Sabine Haupt als Alkmene, die in dem grausamen Männer-Spiel als Einzige bei sich bleibt, nicht vervielfältigt wird, gelingt allerdings die psychologische Feinzeichnung ihrer Figur. Sein komisches Talent voll ausspielen kann Nikolaus Barton als Sosias; Andreas Patton zeichnet den Werdegang Amphitryons vom stolzen Feldherren à la Napoleon zum zerstörten Jammerlappen mit (gelegentlich seifenopernartiger) Emphase. Im eleganten, farbsatten Bühnenbild von Andreas Donhauser und Renate Martin vervollständigen Jonas Riemer (Jupiter), Sebastian Edtbauer (Merkur) und Karin Lischka (Charis) ein Ensemble, das durch Spielfreude und Textsicherheit beeindruckt.

Als schließlich aus der Dunkelheit des Zuschauerraums immer mehr uniformgewandete Amphitryone die Bühne wie seelenlose Klone erobern, hat sie uns wieder, die schöne, neue Welt. Ein anregend-anstrengender Theaterabend!