Der Nobelpreis in Chemie geht heuer an den Schweizer Jacques Dubochet, den in Deutschland geborenen US-Forscher Joachim Frank und den Briten Richard Henderson für ihre Beiträge zur Entwicklung der Kryoelektronenmikroskopie. Das gab die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Mittwoch in Stockholm bekannt. Die Methode eröffne neue Einsichten in die Moleküle des Lebens.

Die Preisträger erhalten nach einer Aufstockung der Dotation heuer neun Millionen Schwedischen Kronen (rund 940.000 Euro). Übergeben wird der Preis alljährlich am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.

Methode hat "Biochemie in neue Ära geführt"

Mit der von den drei heurigen Chemie-Nobelpreisträgern entwickelten Methode der Kryo-Elektronenmikroskopie können tiefe, dreidimensionale Einsichten in Biomoleküle gewonnen werden. Die Arbeiten des Schweizers Jacques Dubochet (Jahrgang 1942), des in den USA tätigen gebürtigen Deutschen Joachim Frank (1940) und des Briten Richard Henderson (1945) hätten "die Biochemie in eine neue Ära geführt".

Die Technologie habe die Möglichkeiten der Bildgebung in diesem Bereich nicht nur vereinfacht, sondern auch entscheidend verbessert, begründete die Nobelpreis-Jury die Zuerkennung. Davor prägten "viele leere Stellen die biochemischen Landkarten". Die Kryo-Elektronenmikroskopie änderte das jedoch grundlegend.

Forscher können nun beispielsweise Zellen einfrieren, während sie gerade aktiv sind und sie dann mit Elektronenmikroskopen analysieren. Damit werden heute Dinge beobachtet, die sowohl für das generelle Verständnis der Abläufe in der Chemie des Lebens als auch für die Entwicklung von Medikamenten wichtig sind.

Henderson, der am MRC Laboratory of Molecular Biology (LMB) in Cambridge (Großbritannien) arbeitet, hat mit seiner Forschung gezeigt, dass Elektronenmikroskopie nicht nur zum Studieren toter Materie geeignet ist. 1990 konnte er erstmals ein dreidimensionales Bild eines Proteins mit einer extrem hohen Auflösung aufnehmen. "Dieser Durchbruch zeigte das Potenzial der Technologie", heißt es in der Begründung. Einen wichtigen Grundstein dafür legte Frank (Columbia University, US-Bundesstaat New York), indem er bereits zwischen 1975 und 1986 eine Methode entwickelte, mit der die unscharfen zweidimensionalen Bilder analysiert und in ein schärferes 3D-Bild übersetzt werden konnten.

Der zentrale Verdienst von Dubochet von der Universität Lausanne war es, die Mikroskopie-Technologie für Proben, die Wasser enthalten nutzbar zu machen. Davor verdampfte das für das Leben so wichtige Molekül im Vakuum von Elektronenmikroskopen, was Biomoleküle unverzüglich kollabieren lässt. In den frühen 1980er Jahren entwickelte der Schweizer den Kunstgriff, Wasser so schnell abzukühlen dass es sich in seiner ursprünglichen Form um die biologische Probe herum verfestigt. Das machte es möglich, Untersuchungsobjekte in ihrer natürlichen Gestalt unter die Hightech-Lupe zu nehmen.

Nach zahlreichen weiteren Verbesserungen der Technologie kann mittlerweile in 3D bis tief in die atomare Ebene geblickt werden. Die Methode sei omnipräsent und einschlägige Veröffentlichungen voll mit solchen Abbildungen. So wurde kürzlich auch die Oberflächenstruktur des Zika-Virus analysiert.

Experte: Biomaschinen "bei Arbeit beobachten"

Mit der vom Nobelpreiskomitee mit dem Chemie-Nobelpreis gekürten Methode (Kryo-Elektronenmikroskopie) kann man erstmals große "Biomaschinen" in den Zellen dreidimensional und mit großer Genauigkeit darstellen, erklärte der Wiener Strukturbiologe David Haselbach im Gespräch mit der APA. Davor war man auf die Analyse ihrer Einzelteile beschränkt.

Die Biomaschinen werden dazu in Eis eingebracht und quasi eine Vielzahl von Röntgenaufnahmen hergestellt, so Haselbach, der am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien forscht. Dies geschieht von verschiedenen Blickwinkeln, und ein Computeralgorithmus rekonstruiert schließlich aus einer Vielzahl von Aufnahmen die dreidimensionale Struktur der Biomaschinen.

Während man mit anderen Methoden auf kleine Biomaschinen und die Einzelteile von großen Bio-Molekülen beschränkt war, kann man mit der Kryo-Elektronenmikroskopie erstmals sogar ganze Viren darstellen, die bis zu einem tausendstel Millimeter (ein Mikrometer) groß sind, sagte er. Auch große Biomaschinen in den Zellen wie etwa Ribosomen, wo die Erbinformation in Eiweißstoffe übersetzt wird, könne man damit "bei der Arbeit beobachten".

Viele Makromoleküle haben nämlich bewegliche Teile, und die Kryo-Elektronenmikroskopie ermöglicht es, die verschiedenen Bewegungsstadien quasi im Zeitraffer zu betrachten, so Haselbach. Außerdem könne man die Biomoleküle "mit eigenen Augen" sehen, und nicht nur über indirekte Darstellungen wie bei anderen Methoden.

Literaturnobelpreis am Donnerstag

Im vergangenen Jahr erhielten der Franzose Jean-Pierre Sauvage, der in den USA tätige Brite Sir Fraser Stoddart und der Niederländer Bernard Feringa den Preis "für den Entwurf und die Synthese Molekularer Maschinen". Mit diesen aus Molekülen gebauten Maschinen wie einem Lift oder einem Nano-Auto seien sie "in eine neue Dimension der Chemie vorgedrungen", hieß es in der Begründung.

Auch die Träger des Literatur- und des Friedensnobelpreises werden noch in dieser Woche bekanntgegeben: Am Donnerstag in Stockholm und am Freitag in Oslo. Die Wirtschaft ist am kommenden Montag dran. Verliehen werden die mit je neun Millionen Kronen (rund 940.000 Euro) dotierten Preise am 10. Dezember, dem Todestag von Preisstifter Alfred Nobel.