"Außen hui, innen pfui“ könnte man wohl salopp die Diskrepanz zwischen dem Berufs- und Privatleben mancher Manager bezeichnen. Denn zu Hause läuft es manchmal alles andere als erfolgreich. „Es ist auffällig, dass Herausforderungen im Berufsleben heute in der Regel professionell definiert und bearbeitet werden“, sagt Psychiater und Psychologe Michael Lehofer. „Im Privatleben von solchermaßen handelnden Managern gibt es keine ähnlich ernsthafte Haltung.“ Man handle so, als ob sich private Beziehungen in Partnerschaften und Familien von allein entwickeln würden, quasi ohne dass man etwas dazutun müsse. Wenn Probleme auftauchen, versuche man, „durch sie durchzutauchen“. Man verleugnet sie so lange, bis ein wenig Zeit verstrichen und die Luft ganz von allein wieder ein wenig reiner ist.

"Ähnlichkeit mit Suchtgeschehen"

„In Beziehungen gibt es Streitrituale, die immer gleich ablaufen und scheinbar dazu dienen sollen, die unbefriedigende Situation zu ändern“, erklärt Lehofer. „In Wahrheit stabilisieren diese Rituale die Beziehung, wie sie ist.“ Manche Paare oder Familien zelebrieren diese Rituale laut Psychologie über Jahrzehnte auf die gleiche Weise. Lehofer weist auf eine „Ähnlichkeit mit Suchtgeschehen“ hin. Bei süchtigem Verhalten will der Betroffene auch ein Problem lösen, und versucht es immer wieder, wobei er vor sich verleugnet, dass dieses „Lösungsverhalten“ in Wahrheit gar kein Problem löst. Herausforderungen im Privatleben seien keinesfalls leichter zu lösen als berufliche, sagt der Psychiater, im Gegenteil: „Je mehr wir persönlich in ein Problem verwickelt sind, je mehr es unsere Identität berührt, desto schwieriger ist vielfach die Lösung.“

Es stellt sich die Frage, warum wir uns oft weniger mit der Bewältigung des Privat- als mit der des Berufslebens beschäftigen. Das habe auch damit zu tun, erklärt der Psychiater, dass wir im Arbeitsleben unmittelbar mit negativen Konsequenzen rechnen müssen, im Privatleben hingegen Toleranz und Verständnis aufgrund der emotionalen Bindungen erwarten.
„Auf den Punkt gebracht“, so der Psychiater, „neigen wir zum Opportunismus. Dort, wo wir glauben, dass wir es uns leisten können, lassen wir die Dinge anstehen und kümmern uns wenig. Dort, wo wir egoistisch Konsequenzen fürchten, zeigen wir uns bemüht.“ Dafür spricht, dass in Beziehungen häufig nur dann investiert wird, wenn ernsthaft ein Beziehungsabbruch droht.

Aufbäumen und Resignation

Ein typisches Problem, dem sich schwer beschäftigte Menschen im Privatleben stellen sollten, es aber meist nicht tun, besteht laut Lehofer darin, dass sich einer der Partner wünscht, der andere würde öfter zu Hause sein, während der andere seinem Wunsch nicht entspricht. Gewöhnlich ziehe sich das über außerordentlich lange Zeiträume, ohne dass sich etwas ändert. „So manche Ehefrau kommt ins Staunen, dass ihr Mann dieses Verhalten nicht einmal nach der Pensionierung verändert“, betont Lehofer.

Phasen des Aufbäumens des frustrierten Ehepartners wechseln mit Phasen der Resignation, in denen unter der Decke des friedlichen Zusammenlebens Wut und Ärger kulminieren, um dann unkontrolliert auszubrechen. „Der Vorwurf, nie da zu sein, führt häufig zu einem inneren Rückzug des Angeklagten“, betont Lehofer. Die Forderung habe aber zur Folge, dass der Partner nicht nur allzu häufig aus dem Haus ist, sondern zu allem Überfluss - selbst wenn einmal zu Hause - kaum präsent ist. „Es ist zweifellos schmerzlicher, zu zweit einsam zu sein als allein“, sagt Lehofer.

Wie man einen Ausweg aus der gemeinsamen Einsamkeit findet? In einem ersten Schritt könnte man an der Präsenz arbeiten - daran, in der Zeit, die man miteinander verbringt, uneingeschränkt füreinander da zu sein. Das Füreinander-da-Sein wirke dann noch in die Zeit hinein, in der jeder seinen beruflichen Pflichten nachgeht.