Wie sind Sie zum Beruf der Seelsorgerin gekommen?
MARIA RADZIWON: Ich habe über viele Umwege zu diesem Beruf gefunden. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, in schweren Situationen gut begleitet zu werden. Es kann Halt geben und die Hoffnung, auch im größten Leid, wieder spürbar werden lassen. Die Bezeichnung meines Berufes Seelsorgerin beschreibt es ganz gut: Ich sorge mich um die Seele.
Was sind die Aufgaben einer Krankenhaussseelsorgerin?
RADZIWON: Ich begleite Menschen in der Zeit des Krankenhaus-Aufenthalts und bin da für Klage, Trauer, Ärger, Freude oder einfach, um alles abzuladen, das sich angesammelt hat. Das fällt einem oft leichter, wenn man jemanden vor sich hat, der nicht befreundet oder aus der Familie ist.
Gibt es einen Bereich, der Ihnen besonders am Herzen liegt?
RADZIWON: Die Begleitung von Frauen nach einer Fehl- und Totgeburt. Dabei geht es vor allem um das zur Sprache bringen des Erlebten, um das Ansprechen des Kindes und Zugestehen eines Namens. Ich kann eine Namensgebungsfeier gestalten und eine Urkunde mit dem Namen des Kindes ausstellen – so erhält dieses Kind einen Platz. Seit Oktober gibt es das Angebot, dass alle Kinder im Kindergrab am Friedhof Lienz bestattet werden können.
Mit welchen Problemen kommen die Leute zu Ihnen?
RADZIWON: Viele Menschen vertrauen mir Ihre Lebensgeschichte an, für manche ist es ein aktuelles Problem, das sie bedrückt. Oft tut es den Menschen gut, dass ihnen jemand zuhört, die Hand hält und Verständnis zeigt für das ganz persönliche Erleben.
Was ist für Sie die größte Herausforderung in Ihrem Beruf?
RADZIWON: Wenn ich gerufen werde, um Menschen zu begleiten, die sehr plötzlich von einem lieben Menschen Abschied nehmen mussten.
Ist es möglich, dabei eine gewisse Distanz zu bewahren, dass Sie die Probleme anderer auch nach Dienstschluss noch beschäftigen?
RADZIWON: Natürlich denke ich immer wieder an das, was ich bei der Arbeit erlebt habe. Ich spüre aber, dass es sehr wichtig ist, auch „ich“ zu sein: Mama meiner Kinder, Frau und Gefährtin meines Mannes, Bäuerin am Hof, Organistin in der Kirche. Es braucht den Abstand, um auch Kraft für die Herausforderungen zu haben, die die Aufgabe der Seelsorge mit sich bringt.
Sind Sie in Ihrer Arbeit schon mit dem Wunsch nach Sterbehilfe konfrontiert worden?
RADZIWON: Ich bin immer wieder überrascht, wie gestärkt Menschen in den letzten Tagen ihres Lebens sind. Es gibt viele Themen, die diese Menschen beschäftigen, aber der Wunsch nach Sterbehilfe wurde mir noch nie genannt. Eher von Angehörigen, denen das „Zuschauen“ wehtut. Ich spüre immer mehr, wie wichtig diese Zeit des Abschiednehmens für alle ist. Es ist wichtig, diese Phase des Lebens gut und würdevoll zu begleiten.
Ist Ihnen diese Tätigkeit ein starkes persönliches Anliegen?
RADZIWON: Ich habe es mir sehr gewünscht, Seelsorgerin im BKH Lienz sein zu dürfen – gerade weil es mir ein Anliegen ist, dass Seelsorge spürbar ist.
Wie wirkt sich Ihre Arbeit auf Ihren Glauben aus?
RADZIWON: Für mich ist der Glaube ein großer Schatz, der dem Leben eine besondere Tiefe verleihen kann, Hoffnung und Vertrauen stärkt. Mir tut es gut, meinen Glauben zu leben. Ich bin nicht so die Theoretikerin.
Sie sind 33 Jahre alt. Werden Sie für die Aufgabe der Seelsorge oft für zu jung gehalten?
RADZIWON: Für die Menschen, die mir begegnen, zählt, dass ich da bin und mit ihnen bin auf meine Weise. Wie alt ich bin, wie ich aussehe, spielt keine Rolle.
Gibt es auch einen Seelsorger für die Krankenhausseelsorgerin?
RADZIWON: Ich habe liebe Menschen, die mich in meinem Leben begleiten. In beruflicher Hinsicht ist für Krankenhaus-Seelsorger Supervision vorgesehen – und diese ist wichtig für mich und tut mir gut.