Der Weißensee hat gerade einmal fünf Grad. Doch die türkische Streckentaucherin Derya Can hat das nicht davon abgehalten, am Freitag am Weißensee einen neuen Weltrekord aufzustellen. Die zweifache Mutter tauchte ohne Atemgerät eine Strecke von 120 Meter unter der Eisschicht. Damit übertraf sie sogar ihr persönlich gestecktes Ziel um fünf Meter.

Vor zwei Wochen reiste die Apnoe-Athletin mit ihrem vierköpfigen Team in Kärnten an und bereitete sich für den Weltrekordversuch vor. In der Szene ist die Türkin nicht unbekannt: Sie stellte bereits fünf CMAS-Weltrekorde auf und gewann Medaillen bei den Apnoe-Weltmeisterschaften in diversen Disziplinen. Ihren letzten Weltrekord stellte sie erst im Dezember 2016 in der Disziplin „Variables Gewicht mit Monoflosse“ mit einer Tiefe von 111 Meter auf. Dies war zugleich auch ihr bislang tiefster Tauchgang.

Optimale Bedingungen

Auf der Suche nach einer besonderen Herausforderung kam Can nach langer Planung Mitte Februar ins Hotel Moser an den Weissensee. Mit Unterstützung von Ernest Turnschek und seinem Team von Tauchsport Yachtdiver Weißensee wurden optimale Trainingsbedingungen geschaffen, um sich auf den Rekord vorzubereiten. 

Sowohl der Weissensee als auch Turnschek sind kein unbeschriebenes Blatt, wenn es um das Eistauchen als solches und um die Organisation von Weltrekordversuchen im Apnoe-Tauchen unter Eis geht. So zählten auch Granden wie Nik Linder, Andreas Pap oder Peter Colat auf Turnschek und sein Team, um optimale Unterstützung zu erhalten und bestehende Rekorde purzeln zu lassen.

Der "Rekordsee"

Maßgeblich daran beteiligt, dass das türkische Team, der Weißensee und Turnschek zusammen finden, war Christian Redl, selbst mehrfacher Weltrekordhalter - auch am Kärntner Weissensee. Über zukünftige Projekte am „Rekordsee“ wird bereits gesprochen. Ernest Turnschek: „Derya ist noch nie im kalten Wasser getaucht und ist unsere Temperaturen - unter und über Wasser - nicht gewohnt. Darum waren wir sehr froh, dass eine großzügige Trainingszeit vor dem Rekord eingeplant wurde. Vom ersten Trainingstag an war das Trainingsareal mit einer Länge von 58m (Anm.: die Athletin entschied sich für eine Wendung auf der Hälfte der geplanten Distanz.), einem Start / Zielloch und 3 Sicherheitslöchern sowie zwei auf der ganzen Länge der Strecke gespannten Referenzleinen auf einer Tiefe von 2,20 m und 1,20 m vorbereitet. Da täglich trainiert wurde mussten wir die Konstruktionen unter und über Wasser so installieren, dass diese auch 14 Tage lang bis zum geplanten Rekord bestehen bleiben.

Das Wetter war perfekt - tagsüber angenehm bei blauem Himmel und Sonnenschein und nachts Temperaturen deutlich unter 0 Grad. So konnte die Athletin mit ihrem Team täglich unbeschwerte Trainingseinheiten absolvieren. Die meiste Arbeit begann für uns nach den Trainings, da wir die Strecke natürlich täglich selbst abgetaucht haben um uns zu vergewissern, dass alles 100% in Ordnung ist und die Konstruktionen noch fest mit der Oberfläche verfroren sind.

Geschlossene Oberfläche

„Die Herausforderung liegt darin, mich sowohl körperlich als auch mental rasch an das kalte Wasser und die geschlossene Oberfläche zu gewöhnen. Die Sichtweiten unter Wasser stehen dem Meer in fast nichts nach, was mir unter Wasser ein gutes Gefühl gibt. Die Bedingungen am und im Eis sind perfekt und auch im Hotel werden wir rundum verwöhnt. Ich esse die Zeit vor dem Wettkampf salzlos, auch darauf wird Rücksicht genommen. Im Hallenbad kann ich meine statischen Trainings und meine Mentaltrainings absolvieren. Das sind für mich ideale Bedingungen, um mich auf den großen Tag vorzubereiten“, sagt Can.

Der Einstieg für den Rekordversuch
Der Einstieg für den Rekordversuch © Privat/Yachtdiver

Am Tag vor dem Rekordversuch reiste auch der das türkische Journalisten- und TV-Team sowie Derya Can’s Sponsor an den Weißensee, um  live dabei zu sein und berichten zu können. Ausgerechnet am Weltrekordtag kam nach zwei Wochen Sonnenschein der Winter mit kalten Temperaturen, Wind und Schneefall zurück. „Das war natürlich schade. Aber das Wetter ist, wie es ist und man muss das beste daraus machen. Meiner Stimmung und der Stimmung meines Teams konnte das Wetter nichts anhaben“, erzählt die stets positiv gestimmte Athletin.

Rekord übertroffen

„From now on, please be absolutely quiet, thank you!“ ertönt es auf der Strecke um kurz vor 13h durch Adnan, Freediving & Yoga School in Kas und Deryas Mental Coach. Derya wirkt vollkommen konzentriert und fokusiert; atmet tief. „Four Minutes till official start“ tönt es wieder ganz laut; zwischen den Zeitansagen hätte man eine Stecknadel fallen hören. Die Sicherungstaucher mit Gerät befinden sich bereits an ihren Unterwasser-Positionen entlang der Strecke, um im Notfall sofort einschreiten zu können. „One Minute till official start!“

Can schließt die Augen, füllt ihre Lunge mit kurzen und tiefen Einatemzügen mit Sauerstoff, gleitet fast tiefenentspannt ins 5 Grad kalte Wasser und taucht ab. Es herrscht Totenstille und alle warten gespannt. Plötzlich sieht man am Ziellloch die Silhouette der Apnoesportlerin und es macht den Anschein, als wollte sie weiter tauchen. Ganz am Ende des Loches taucht Can auf - mit einem Lachen im Gesicht.  Auch die Sicherungstaucher finden sich nun am Zielloch ein und das ganze Team verweilt bei ausgelassener Stimmung und Jubel im Loch, als wäre es ein wohlig-warmer Whirlpool. 

Der neue Weltrekord im Apnoe-Streckentauchen „non dynamic unter Eis female“ liegt nun also bei notariell beglaubigten 120 Metern, 115 waren geplant.