Trotz tiefer Zinsen sind die Aktienmärkte seit Dezember auf Talfahrt. Wie das?
PETER BREZINSCHEK: Die Aktienmärkte sind im Sinken – im verflixten siebten Jahr des Aufschwungs. Wir hatten im März 2009 den Start einer Börsenentwicklung, die bei den großen etablierten Märkten zwischen 170 und 190 Prozent Kursgewinne gebracht hat. Nur der ATX in Wien hat diese Entwicklung nicht ganz mitgemacht. Mit knapp 67 Prozent war er ein Nachzügler. Das heißt, wir sind in einem Reife-Zyklus der Börsenentwicklung. Es gibt keine langen vergleichbaren Zyklen außer in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre. Daher sind die Aktienmärkte nicht mehr billig.

Schwarzmaler vom Dienst sprechen von einer neuen Blase.
BREZINSCHEK: Eine Blasenbildung auf den Aktienmärkten kann ich derzeit nicht orten. Ich würde aber meinen, dass es sehr wesentlich darauf ankommt, in welchen Branchen man investiert ist. Der Konsumbereich war ein deutlicher Impulsgeber, während man auf der anderen Seite mit Rohstoffen, Industrie, Metall- und Minen-Gesellschaften Verluste erzielt hat. Energiewerte haben die Aufwärtsentwicklung nicht mitgemacht. Finanzwerte leiden unter der hohen regulatorischen Last und auch unter den Bankensteuern in vielen Ländern.

Aktienmärkte seit 2009
Aktienmärkte seit 2009 © Kleine Zeitung

Bei der Europäischen Zentralbank ist Mario Draghi entschlossen, den Geldhahn weiter zu öffnen, weil die Inflationsrate weit unter dem EZB-Ziel von zwei Prozent liegt. Die rinnt der EZB mit dem Ölpreisverfall weg?
BREZINSCHEK: Ja, die EZB hat ein Inflationsziel, das auf die Gesamtinflationsrate abstellt. Diese liegt bei nur knapp 0,2 Prozent in der Eurozone, während die Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel bei knapp unter einem Prozent liegt. Es ist klar, dass in den vergangenen zwölf Monaten die niedrige Inflationsrate nicht in Frankfurt, sondern in Riad in Saudi Arabien mit dem niedrigen Ölpreis gemacht wurde. Den niedrigen Ölpreis kann die EZB, so viel Liquidität sie auch hat, nicht beeinflussen und daher geht das geldpolitische Ziel ins Leere, solange der Ölpreis fällt.

Warum springt trotz niedriger Zinsen und Ölpreise Europas Konjunktur nicht stärker an?
BREZINSCHEK: Weil wir viele ungelöste Fragen in Europa haben. Zum einen die Besorgnis um die Uneinigkeit in der Flüchtlingsfrage mit möglichen steuerlichen Erhöhungen zur Finanzierung. Bürokratie-Hürden und der rigide Arbeitsmarkt bremsen das Investitionswachstum. Ich bin nur überrascht, dass die privaten Haushalte noch nicht ihre erhöhten Realeinkommen im privaten Konsum in Österreich ausgeben.

Ihr Urteil für EZB-Chef Draghis europäische Geldpolitik?
BREZINSCHEK: Dass sie meines Erachtens langfristig eher Risiken als Chancen in sich birgt.

ADOLF WINKLER