Volkswagen-Chef Martin Winterkorn tritt wegen der Vorwürfe um Abgas-Manipulationen in den USA nicht zurück. Es wäre falsch, wenn wegen der schlimmen Fehler einiger weniger die ehrliche Arbeit von 600.000 Menschen unter Generalverdacht geriete, sagte Winterkorn in einem Video-Statement, das auf der Webseite des Konzerns veröffentlicht wurde.

Zuvor waren die Gerüchte um Winterkorns Ablöse hochgekocht. Der Konzernchef habe nicht mehr das Vertrauen des Gremiums, zitierte der "Tagesspiegel" (Mittwochsausgabe) Aufsichtsratskreise. Nachfolger des 68-Jährigen solle demnach Porsche-Chef Matthias Müller werden.

Der VW-Konzern wies diese Darstellung umgehend zurück. Die Behauptung, Winterkorn solle durch Müller abgelöst werden, sei "Schwachsinn". Der Aufsichtsrat von Volkswagen tagt am Freitag; eigentlich sollte der Vertrag von Winterkorn bei der Sitzung verlängert werden. Am Mittwoch kommt Medienberichten zufolge bereits das Präsidium des Aufsichtsrats zu einer Krisensitzung zusammen.

Die Affäre zieht inzwischen weltweit Kreise, in Italien, Frankreich und Südkorea wurden strenge Überprüfungen angekündigt. Der VW-Konzern gab eine Gewinnwarnung heraus und stellte vorerst 6,5 Milliarden Euro zur Reparatur des enormen globalen (Image-)Schadens in der Bilanz zurück. Nach Meinung mancher Experten könnte das noch zu wenig sein.

Die Zeitung "Die Welt" veröffentlichte einen Bericht, wonach die deutsche Bundesregierung von den Abgas-Betrügereien gewusst habe. Diese Technik der Test-Manipulation sei in Brüssel und Berlin lange bekannt. Das gehe aus der Antwort des Bundesverkehrsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Grünen vom 28. Juli hervor.

Die VW-Aktie befindet sich nach dem mehr als 18-prozentigen Absturz am Montag auch am Dienstag im freien Fall. Der Kursverlust betrug am frühen Nachmittag erneut fast 20 Prozent.

Ermittlungen in den USA

Die US-Umweltschutzbehörde EPA kündigte am Montag in Washington an, auch die Diesel-Fahrzeuge von anderen Autobauern unter die Lupe zu nehmen. Medienberichten zufolge leitete das US-Justizministerium strafrechtliche Ermittlungen ein. Ein Ausschuss des US-Kongresses wird sich mit dem Skandal befassen, kündigten die US-Politiker Fred Upton und Tim Murphy an.

Frankreich fordert eine Untersuchung auf europäischer Ebene. Die Untersuchung solle aber nicht nur VW betreffen, erklärte Frankreichs Finanzminister Michel Sapin. "Ich denke, um die Menschen zu beruhigen, sollten wir sie auch auf die französischen Hersteller ausdehnen." Inzwischen hat auch Südkorea angekündigt, drei Diesel-Modelle von VW genauer zu untersuchen. Die Schweizer Behörden wurden ebenfalls auf den Plan gerufen, um zu prüfen, ob dieselben Dieselautos auch in der Schweiz verkauft wurden.

London verlangt Untersuchung der EU-Kommission

Großbritannien hat eine Untersuchung durch die EU-Kommission verlangt. Der britische Transportminister Patrick McLoughlin erklärte am Dienstag, es sei unerlässlich, dass die Öffentlichkeit wieder "Vertrauen" in die Abgastests haben könne. Daher solle sich die EU-Kommission "dringend" mit dieser Situation befassen.

"Clean-Diesel"-Technologie

Die Aktie des Wolfsburger Autokonzerns brach am Montag um 18,6 Prozent ein. Der Kursverlust setzte sich auch am Dienstag fort.

Die US-Behörde EPA erklärte, gemeinsam mit der kalifornischen Partnerbehörde Carb die Modelle weiterer Hersteller auf mögliche "Abschalteinrichtungen" zu überprüfen, die den Schadstoffausstoß bei offiziellen Emissionstests verringern. Die Umweltschutzbehörde machte keine Angaben dazu, welche Autobauer betroffen sind. Auch die deutschen Konzerne Daimler und BMW sind auf dem US-Markt mit Diesel-Fahrzeugen vertreten. Die Unternehmen hatten in den vergangenen Jahren die sogenannte "Clean Diesel"-Technologie als sparsame und umweltfreundliche Alternative präsentiert.

Personelle Konsequenzen bei VW

Für VW werden die Manipulationen nicht nur in den USA Konsequenzen haben. Die Affäre wird nach Auffassung von VW-Aufsichtsratsmitglied Olaf Lies auch personelle Konsequenzen nach sich ziehen. "Wir werden jetzt, glaube ich, in den nächsten Tagen und Wochen ... die Details erfahren, wer, wann, wo welche Entscheidungen getroffen hat, wer dafür verantwortlich ist", sagte der niedersächsische Wirtschaftsminister am Dienstag im Deutschlandfunk.

Wenn denn klar sei, welche Personen verantwortlich seien, könne man auch die entsprechenden Konsequenzen ziehen. "Und ich bin mir sicher, daraus wird es dann am Ende auch personelle Konsequenzen geben", sagte Lies. Einen Rücktritt von Vorstandschef Martin Winterkorn forderte er nicht.

Der frühere Continental-Manager Thomas Sattelberger forderte in den Zeitungen der "Funke Mediengruppe" (Dienstagsausgaben) Winterkorns Rücktritt. Zuvor hatte bereits der Duisburger Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer dem VW-Chef einen Rücktritt nahegelegt. Die Grünen im Bundestag verlangten eine Aktuelle Stunde zu dem Skandal.

Wie manipuliert wurde

Die Vorwürfe gegen Volkswagen und die Tochter Audi waren am Freitag öffentlich geworden. Laut EPA entwickelte Volkswagen eine Software, mit der Vorgaben zur Luftreinhaltung zwar bei Tests, nicht aber beim normalen Betrieb der Autos erfüllt wurden. Die Dieselfahrzeuge stießen folglich im regulären Straßenverkehr mehr gesundheitsschädliche Stickoxide aus als erlaubt.

Betroffen von den Manipulationsvorwürfen sind rund 480.000 Fahrzeuge. Dem Wolfsburger Konzern droht in den USA nun eine Milliardenstrafe - sie könnte bis zu 18 Milliarden Dollar ausmachen. Auch Schadenersatzforderungen vor Kunden könnten auf VW zukommen. Weitere Kosten drohen durch Rückruf und Umrüstung der betroffenen Modelle.

Plan zur Umrüstung

Die EPA stellte allerdings klar, dass sie noch keinen formalen Rückruf angeordnet habe. Zunächst müsse VW aber in einem "angemessenen Zeitraum" einen Plan für die Umrüstung der beanstandeten Modelle entwickeln. Die Besitzer würden über den Rückruf informiert, sobald die EPA dem Plan zugestimmt habe. Dieses Verfahren könnte laut EPA "bis zu einem Jahr dauern".

Der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) kündigte strenge Nachprüfungen bei VW-Dieselmodellen in Deutschland durch unabhängige Gutachter an. VW-Chef Martin Winterkorn habe ihm "seine absolute Unterstützung" dafür zugesagt, teilte das Verkehrsministerium in Berlin mit. Die "Bild"-Zeitung (Dienstagsausgabe) zitierte Dobrindt mit den Worten, Winterkorn habe ihm versichert, dass es in Deutschland keine Manipulationen an VW-Diesel-Fahrzeugen gebe und "dass alle aktuellen Neufahrzeuge frei von unzulässiger Beeinflussung durch Software" oder andere Veränderungen seien.

Angst um Arbeitsplätze

Die VW-Aktie fiel am Montag in Frankfurt am Main um 18,6 Prozent ab. Dienstag Vormittag setzte sich der Kursverlust fort und lag kurz vor zehn Uhr bei einem Minus von mehr als fünf Prozent. Die Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW) sprach von einem strategischen "Super-GAU" für die Weltmarktstellung von VW. DSW-Präsident Ulrich Hocker riet im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland VW-Aktionären allerdings von einem vorschnellen Verkauf ihrer Anteile ab.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnte vor massiven Folgewirkungen des Skandals für die deutsche Wirtschaft. "Der Imageschaden wird VW nicht nur in den USA, sondern auch global teuer zu stehen kommen. Damit werden auch Jobs bei VW und vielen Zulieferern in Deutschland gefährdet sein", sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher der "Bild". Da VW bisher ein "Aushängeschild" für Produkte aus Deutschland sei, könnten "auch andere deutsche Exporteure Schaden nehmen".