Wie schätzen Sie die Taktik der griechischen Regierung, insbesondere des griechischen Finanzmisters ein.

HANS-WERNER SINN: Sie hat lange auf Zeit gespielt. Varoufakis hat die enorme Kapitalflucht benutzt, um so höheren Verhandlungsdruck aufzubauen. Der Plan A lautet, weiter Geld zu möglichst guten Konditionen zu bekommen. Plan B ist der Grexit. Je besser er für eine gute Ausgangslage beim Plan B sorgt, desto besser ist das für Plan A.

Während wir hier sitzen, kommt gerade die Nachricht auf den Tisch, dass doch noch weiterverhandelt werden soll. Halten Sie das für richtig?

SINN: Ich halte das für eine Ente. Wenn die Troika jetzt doch noch etwas anbieten würde, wäre das ein Fehler, weil sie ja erklärt hat, dass sie ein letztes Angebot gemacht habe. In Wahrheit ist es so, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Niemand zwingt Griechenland, die Kredite anzunehmen. Im Grunde ist darüber nicht zu verhandeln. Es kommt ja einem Geschenk gleich.

Glauben Sie, dass die im Hintergrund schon Geld drucken?

SINN: Es wäre fahrlässig, sich nicht vorzubereiten, selbst wenn man den Grexit nicht anstrebt. Jede Regierung, die einen Währungsschnitt gemacht hat, hat vorher etwas anderes behauptet. Ohne Ausnahme. Ob schon gedruckt wird, weiß ich nicht. Die Umstellung der Währung wird indes schon einmal vorbereitet.

Wie wahrscheinlich ist es, dass Plan B kommt?

SINN: Ich schätze 50 Prozent, weil ich nicht weiß, ob das Volk Tsipras folgen und Verhandlungsangebot ablehnen wird. Wenn sie das Angebot annehmen, wird Griechenland noch ein paar Monate weitere Kredite aus seiner eigenen Druckerpresse beziehen dürfen, nichts anderes sind ja die ELA Kredite. Aber eine Dauerlösung ist das ja nicht. Ein weiteres Hilfsprogramm sehe ich im Moment noch nicht. Man will formal noch ein paar Monate im alten Programm bleiben, damit man sich weiter Geld drucken darf.

Würde man so weiterer Kapitalflucht Vorschub leisten?

SINN: Ja, genau und wir wären in einem halben Jahr wieder genau da, wo wir heute stehen, nur mit noch größeren Schulden Griechenlands im EZB-System. Dann beginnt das gleiche Theater wieder. Das ist das eine Szenario. Lehnt das Volk das ab, wird man vielleicht ein paar Wochen probieren irgendwie zurecht zu kommen. Da wird man sehen, es geht nicht. Und kehrt zur Drachme zurück. Das Angebot ablehnen und im Euro bleiben, diese Möglichkeit gibt es nur theoretisch. Wenn die Euro-Druckerpresse abgestellt wird, muss Griechenland Drachmen drucken, um ein Chaos zu verhindern. Das Land ist nicht wettbewerbsfähig. Die Drachme würde die Chance bieten, wettbewerbsfähig zu werden.

Sie gehen davon aus, dass Griechenland bankrott ist?

SINN: Ich gehe nicht davon aus, das ist ja gestern aktenkundig geworden, weil die Kredite an den IWF nicht zurückgezahlt werden. Die Nichtbedienung von IWF-Krediten gilt üblicherweise als Staatskonkurs, weil der IWF die höchste Rangstelle unter den Gläubigern hat.

Wie wird die Abstimmung Ihrer Einschätzung nach ausgehen?

SINN: Das kann ich schwer einschätzen, sie geht wahrscheinlich Spitz auf Knopf aus.

War die Volksabstimmung von langer Hand vorbereitet? Alles andere würde ja organisatorisches Chaos bedeuten.

SINN: Natürlich, davon gehe ich aus.

Der Grexit mit einer Parallelwährung würde die Importe massiv verteuern. Könnte das soziale Unruhen auslösen?

SINN: Die Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit kommt ja genau durch die Verteuerung der Importe zustande. Die Leute kauften wieder mehr heimische Waren, statt Importware. So könnte die Wirtschaft wieder in Schwung kommen. Der Konkurs des Landes führt zu sozialen Härten, nicht der Grexit.

INTERVIEW: CLAUDIA HAASE