War mit einem Leck - wie jetzt in der Nordsee - jederzeit zu rechnen?

JURRIEN WESTERHOF: Das ist eine gute Frage. Man muss sagen: Ja - es war damit zu rechnen. Die Frage war nur, wann und wo es passieren wird.

Ist das Risiko der Öl- und Gasförderung in der Tiefsee überhaupt kalkulierbar?

WESTERHOF: Kaum. Wenn an Land ein Ölbohrturm brennt, ist das im Normalfall beherrschbar. Geht man Tausende Meter unter den Meerespiegel, ist die Sache eine andere. Das Problem ist, dass die fossilen Vorkommen an Land weitgehend erschöpft sind. Man muss in Regionen ausweichen, in denen es dann schwierig und teuer wird. Deshalb geht man in die Tiefsee, nach Nordsibirien, in das Polarmeer und in die Arktis. In zehn Jahren ist der Nordpol für die Energiefirmen ein unverzichtbares Gebiet.

Passierten Unfälle nicht auch, weil das Credo "Gewinnmaximierung vor Risikominimierung" regiert?

WESTERHOF: Wenn an der Börse innerhalb von Tagen Milliarden Euro verloren gehen, dann gelten andere Logiken. Das eigene Risiko wird verharmlost. Die OMV z.B. will auch Schiefergas fördern anstatt sich Gedanken zu machen, wie Energieversorgung im Jahr 2020 oder 2030 aussehen kann. Alternativen werden nicht vorgelegt.

Gibt es ernstzunehmende Notfallpläne, bei der "Deepwater Horizon" hatte man den Eindruck nicht?

WESTERHOF: Es sieht nicht danach aus. Auf den Ölplattformen auf hoher See gibt es bestimmt Notfallpläne für alles Mögliche. Tritt dann der Ernstfall ein, wird aber improvisiert - und zunächst fließt einmal alles ins Meer. Westlich von Grönland wurde von Greenpeace eine schottische Firma bei Probebohrungen beobachtet, die hatten überhaupt keinen Notfallplan.

Stichwort Informationspolitik - darf man überhaupt ein Wort von dem glauben, was von offizieller Seite in diesen Fällen kommuniziert wird?

WESTERHOF: Ich bin ein ehrlicher Mensch - und würde mir das auch von anderen erwarten. Sieht man sich aber an, wie es 2010 im Golf von Mexiko war, wird man sehr misstrauisch: Die erste Reaktion von BP und das, was man erst danach zugab bzw. ohnehin schon gewusst hatte, zeigte, dass man nicht zu viel Vertrauen haben sollte. Oft regiert hier auch das Wunschdenken.

Sind Regierungen willfährige Geschäftspartner der Ölmultis? Verdienen Sie selbst zu gut an Lizenzen, um kritischer zu sein?

WESTERHOF: Regierungen verdienen gut daran, gar keine Frage, Ex-Politiker landen auch oft in den Vorstands-Etagen der Ölmultis. Es geht hier um Dividenden, Konzessionen, Steuervorteile und Begünstigungen. Die Verstrickung von Ölindustrie und Regierungen ist ein chronisches Problem.

BP zahlt nach der Ölpest im Golf von Mexiko bis zu 40 Milliarden Dollar an Entschädigung – geht man bewusst ein solches Risiko ein?

WESTERHOF: Man darf nicht vergessen, dass einem Unternehmen dieser Größenordnung Aktionäre im Nacken sitzen, zudem hat man unzählige Mitarbeiter. Man bekommt den Eindruck, dass man Risiko eingehen muss und dies bewusst tut.

Was hat sich in den USA nach der Ölpest im Golf von Mexiko verändert?

WESTERHOF: In acht Jahren Bush-Regierung hat die Ölindustrie quasi das Land regiert. Man scheint aber etwas vorsichtiger geworden zu sein, zumindest in den Formulierungen. Nicht mehr im offenen Meer bohren zu dürfen, davon ist man aber noch weit entfernt.