Ihr offenes Radiointerview am Sonntagmorgen vor drei Wochen bei Claudia Stöckl (Ö 3, Anm.) berührte die Zuhörer. Wie fielen die Reaktionen aus?
ANGELA POINTNER: Das Echo war überwältigend und fast ausnahmslos positiv. Wir bekamen unzählige Mails und Briefe, Leute schilderten uns ihr eigenes Schicksal. Ein Stück weit hatte man sogar das Gefühl, dass unser Gang an die Öffentlichkeit auch anderen die Kraft gab, sich ihren Problemen zu stellen. Das tat sehr gut.
ALEXANDER POINTNER: Ich war schon einmal in einer ähnlichen Situation – nach meinem ersten Interview bei Claudia Stöckl. Damals, im Jänner 2014, hatte sie sich ein Interview mit dem Cheftrainer der „Superadler“ erwartet, herausgekommen ist etwas ganz anderes (Gespräch über die eigene Depression und die seines Sohns Max, Anm.).

Die Offenheit, mit der Sie nach außen gingen, verblüffte.
ALEXANDER: Es ging um Enttabuisierung. Darum, ein Thema, dem nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt wir, aufzugreifen. Ich habe unlängst von einer Statistik gehört, wonach es mehr Tote durch Selbstmord gibt als auf der Straße, das war mir gar nicht bewusst. Alleine die Tatsache, dass man darüber redet, hilft.
ANGELA: Auch für mich war es am Anfang schwer, ich konnte die Wörter Suizid oder Selbstmord nicht einmal aussprechen. Es dauerte, bis ich mich dem stellen konnte.

Wie schwer fällt es jetzt, ein Jahr später, den Alltag zu bewältigen?
ANGELA: Nach dem Interview bei Claudia Stöckl ging es mir eine Zeit lang gut, in den letzten Tagen war es wieder ein wenig schlechter. Es läuft in Wellen ab. Ich muss sehen, was mir guttut.

Herr Pointner, Sie meinten, Fachleute hätten Sie in der Entscheidung für den Gang an die Öffentlichkeit bestärkt. Man hätte Ihnen aber klargemacht, nicht alles preiszugeben.
ALEXANDER: Alles ist eine Gratwanderung, auch dieses Gespräch jetzt. Wir sollten nach außen gehen, soweit es uns guttut. Wir sollten sagen, was uns belastet und wie unsere Bewältigungsstrategien aussehen. Aber wir sollten nicht über die Details des Unglücks sprechen.
ANGELA: Als wir das erste Interview hinter uns hatten, spürte ich Erleichterung. Endlich musste ich nicht mehr raten: Weiß der was? Oder der? Ich kann davon ausgehen, dass die meisten Leute über das, was passiert ist, Bescheid wissen. Indem wir damit nach außen gingen, lösten wir einen Prozess aus. Früher kostete es mich große Kraft, in einen Supermarkt zu gehen. Ich fürchtete, dort mit einer mir bekannten Person aufeinanderzutreffen. Allein das kostete mich viel Kraft.
ALEXANDER: Es gab in Wahrheit nur zwei Möglichkeiten: Wir konnten schauspielern oder jedes Mal auf Neue erzählen, was los war. Auch das kostete Kraft. Und die hatten wir am Anfang nicht. Aber jetzt habe ich das Gefühl, dass alles etwas anders ist. Nun müssen wir nicht mehr schauspielern.

Wie sah die Hilfe Ihres Umfelds bei der Alltagsrückkehr aus?
ANGELA: Es war beeindruckend, wie manche damit umgingen, wie sie uns halfen. Manche übten sogar sanften Druck aus – und dafür bin ich ihnen dankbar. Sie fragten, erkundigten sich, hörten zu. Und als es darum ging, wie sie uns konkret helfen könnten, waren sie sofort zur Stelle.

Sie haben einen Roman herausgebracht ("Phie und die Hadeswurzel"). Sie schreiben über einen Wachkomapatienten. Das Thema hatten Sie schon vor dem Schicksalsschlag gewählt.
ANGELA: Es war Zufall, ich hatte keine Vorahnung. Aber ich habe mit Menschen, die diese Erfahrung machen müssen, schon Bekanntschaft gemacht. Das Buch handelt vielmehr von der Sehnsucht einer Tochter nach ihrem abwesenden Vater und ihrer Hoffnung, ihn in der Traumdimension zu treffen.

Können Sie sich vorstellen, eines Tages eine Anlaufstelle für Betroffene zu sein?
ALEXANDER: Es gibt mit YAM bereits ein wertvolles Präventionsprojekt, das hoffentlich bald in Tirol starten wird, dem wir mit der Schilderung unserer Situation ein wenig Aufmerksamkeit bringen wollen. Das Thema ist präsent, auch wenn es in der Öffentlichkeit noch nicht so angekommen ist.
ANGELA: Ich denke, wir tragen mit unserem Gang an die Öffentlichkeit schon viel dazu bei, dass das Thema nicht mehr weggeschwiegen wird. Es kostet allerdings viel Kraft, Interviews wie das hier zu führen. Aber klar – wenn wir darüber sprechen, dann ist es draußen, dann können auch andere etwas damit anfangen.

Wie gefährlich ist Hoffnung, wenn Sie an Heilungschancen für Nina denken?
ANGELA: Ich kenne Nina, wie sie war. Und ich weiß, wie es jetzt ist. Allein das zu wissen, tut weh. Aber tief in mir schlummert die Hoffnung, dass sie wieder gesund wird, die lasse ich mir auch nicht nehmen.
ALEXANDER: Am Anfang war es so, dass wir uns an jeder kleinen Reaktion festhielten. Aber das ist so eine Sache, denn man hofft, dass es dann schon beim nächsten Mal noch besser sein wird.

Wie treten Sie mit Ihrer Tochter in Kontakt, was kommt zurück?
ANGELA: Wir spüren, ich spüre, dass etwas da ist. Es sind kleine Anzeichen, aber sie sind da und sie sind für mich erkennbar.

Sie meinten im Radio, Depression sei möglicherweise genetisch bedingt und liege in der Familie. Haben Sie Angst, dass die Situation auch die anderen Kinder trifft?
ANGELA: Angst nicht, aber wir sind – sagen wir – gewarnt. Wir schauen, versuchen, Signale zu erkennen. Wir haben diesbezüglich ja Vertrauenspersonen, Psychiater und Psychotherapeuten.

Mit Ihrer Kritik, einige "feige Herren" hätten sich nach dem Schicksalsschlag nicht bei Ihnen gemeldet, trafen Sie wohl einige Leute des ÖSV ins Mark. Ging es Ihnen darum, dass man Ihrem Mann nach seiner so erfolgreichen Zeit keine Aufmerksamkeit mehr widmete? Oder könnte es nicht auch so gewesen sein, dass nicht jeder mit so einer Nachricht entsprechend umzugehen weiß?
ANGELA: Mir geht es nicht um Erfolge, die Alex feierte. Aber mich traf es, dass gerade er, der so viel an Energie in die Sache investierte, von den Leuten, denen er so lange etwas gab, keine Reaktion gezeigt bekam. Aber: Nach unserem Interview meldeten sich einige bei uns, das freute uns ungemein.

Haben Sie, Herr Pointner, eines Tages wieder Lust, am Schanzenrand zu stehen?
ALEXANDER: Das wird die Zeit zeigen, aber das rund um die Schanze ist schon etwas, was ich besonders gut kann. Ich wäre aber nicht mehr bereit, alles für den Erfolg zu opfern.


INTERVIEW: FLORIAN MADL