Beim Manor-Team, das ja im letzten Jahr noch Marussia war, trägt man am Monaco-Wochenende ganz spezielle Erinnerungsarmbänder. Sie gelten Jules Bianchi. Genau ein Jahr ist es her, da schien der Stern des Franzosen in der Formel 1 aufzugehen, der Weg in eine große Zukunft vorgezeichnet. Mit dem extrem unterlegenen Marussia holte der Franzose damals, am 25. Mai 2014, einen sensationellen neunten Platz, versetzte das Team, seine Freunde, seine Familie, in einen wahren Freudentaumel. „Auch wenn es für andere nicht so viel bedeutet, für uns ist dieser neunte Platz wie ein Sieg“, strahlte der 25-Jährige an jenem Tag.

Jetzt liegt Bianchi – nur etwa 25 Kilometer von Monaco entfernt – in seiner Heimatstadt Nizza in einem Krankenhaus im Koma. Seit seinem schweren Unfall am 5. Oktober 2014 in Japan ist nicht nur für ihn, sondern auch für seine Familie, seine Umgebung, alles anders. Auf der nassen Piste von Suzuka raste er unter einen Abschleppkran und zog sich schwerste Kopfverletzungen zu.

Im Unterschied zur Schumachers-Familie, die seit dem Skiunfall Ende Dezember 2013 über Michaels Gesundheitszustand weitgehend schweigt, lässt Vater Philippe Bianchi die Öffentlichkeit immer wieder am Schicksal seines Sohnes teilhaben. Zuletzt erklärte er nach einem Besuch in der Klinik: „Er kämpft immer noch – wie er es schon immer gemacht hat“ Sein Sohn absolviere „jeden Tag einen Marathon“.

Die Fortschritte seien freilich minimal. „Sein Zustand ist weiter stabil. Es gibt keine körperlichen Probleme. Alle Organe arbeiten normal ohne Unterstützung. Aber er ist weiterhin bewusstlos im Koma. Wird er es denn überstehen? Und wenn ja, wird er behindert sein oder wieder normal leben? Ich kann nur sagen, dass einen so ein Unfall schwerer trifft als ein schneller Tod. Das Leiden hat kein Ende. Es ist eine tägliche Qual“, sagt Bianchi senior. So oft wie möglich kommt die Familie an Jules Krankenbett. „Von Zeit zu Zeit sehen wir, dass etwas passiert. Manchmal ist er aktiver und bewegt sich. Seine Hand schließt sich um unsere. Aber sind das Reflexe oder echte Reaktionen? Es ist schwer zu sagen“, sagt der Vater. Und irgendwie klingt da ein bisschen durch, dass er wohl weiß, dass man manchmal sieht, was man in so einem Fall unbedingt sehen möchte. Dass die Prognosen für seinen Sohn sehr schlecht sind, das weiß er schließlich schon seit den ersten Tagen in Suzuka. . .

KARIN STURM