Von Christoph Heigl und Franz Pototschnig

Zugegeben, ein mulmiges Gefühl ist da. Und blitzschnell überlegt man - linke oder rechte Hand? -, als Andreas Schicker zum Interviewtermin auf den Platz seines Heimatklubs SV Oberaich kommt und zur Begrüßung die Hand ausstreckt. Der 28-Jährige lächelt und drückt mit rechts fest zu. Er scheint gelernt zu haben, mit der Verunsicherung seiner Gegenüber umzugehen. "In den ersten Tagen nach dem Unfall haben meine Freunde nicht gewusst, ob sie mir SMS schicken können. Weil ich ja nicht zurückschreiben konnte", erzählt er später. Jetzt neigt sich die Reha in Tobelbad dem Ende zu, er stellt sich den Medien und allen Fragen.

Wie genau sind die Erinnerungen an den Unfall?

ANDREAS SCHICKER: Es war ein normaler Abend mit Freunden. Leider bin ich auf die Idee gekommen, das "Ding" in der Stadt anzuzünden. Dann war ein Knall, eine Stichflamme. Als ich ein paar Meter weiter bei der Polizei anläuten wollte, habe ich gemerkt, dass ich keine Hand mehr habe. Aber in den ersten zehn Minuten hatte ich nicht einmal Schmerzen, das war im Schock.

Wie präsent sind Knall und Unfall vom 23. November noch?

SCHICKER: Der Unfall ist jetzt knapp drei Monate her, aber ich denke nur an die Zeit danach. Es ist stetig bergauf gegangen. Die Ärzte und Therapeuten in Graz und Tobelbad machen eine super Arbeit. Die linke Hand war nicht mehr zu retten, aber die rechte wurde in einer zehnstündigen Operation versorgt und ist schon zu 70 Prozent wiederhergestellt. Zwei Drittel der Therapien beschäftigen sich nur mit rechts, beim Daumen und Zeigefinger fehlen ja die Endglieder. Deshalb ist momentan die Prothese links sogar mehr Hilfe im Alltag. Sie wird über Muskelimpulse angesteuert. Ich habe alle Prothesen der Marktführer getestet, die endgültige bekomme ich erst.

Links trägt Andreas Schicker nun eine Prothese
Links trägt Andreas Schicker nun eine Prothese © Franz Pototschnig

Gibt es Beeinträchtigungen?

SCHICKER: Kaum. Ich bin seit drei Wochen selbstständig, fahre seit zwei Wochen mit Automatik und Knauf am Lenkrad wieder Auto und kann sogar meine Schuhbänder zumachen. Als Linkshänder muss ich rechts schreiben lernen, aber Blockbuchstaben gehen schon. Bei der Therapie lassen sie mich Korbflechten.

Wie sind Sie mit den höchst unterschiedlichen Reaktionen umgegangen?

SCHICKER: Die negativen Kommentare waren normal, das bin ich aus dem Profifußball gewohnt. Dass Kameras im Spital zwischen den OP-Terminen gewartet haben, empfand ich als unverschämt. Die vielen positiven Reaktionen haben mir aber gutgetan. In der ersten Bundesligarunde nach dem Unfall hatten die Ried- und Austria-Anhänger Transparente für mich, das gibt Energie. Auch viele Fußballerfreunde haben sich gemeldet.

Sie sind noch bis Ende Mai beim Zweitliga-Klub Horn unter Vertrag. Wie geht es weiter?

SCHICKER: Der SV Horn steht voll hinter mir. Unglaublich, wenn man bedenkt, dass ich für sie nichts geleistet habe. Immerhin habe ich mir im August im ersten Training das Kreuzband gerissen und kein einziges Mal gespielt.

Denken Sie an ein Comeback?

SCHICKER: Das Jahr 2015 will ich meiner rechten Hand schenken und mich für Fußball fit machen. Noch kann ich nichts abschätzen, vielleicht im Sommer. Da will ich in Deutschland eine Therapie machen und erste Zweikampfübungen versuchen, speziell fürs Abrollen. Ich gehe derzeit fünf Mal in der Woche Laufen. Bei kontrollierten Bewegungen habe ich keine Probleme. Wenn aber Zweikämpfe nicht funktionieren, kann ich nicht einmal in der Landesliga spielen.

Eine Rückkehr mit Prothese wäre grundsätzlich möglich?

SCHICKER: Ich habe mich bei Fritz Stuchlik vom ÖFB erkundigt. Einen Out-Einwurf kann man auch mit den Armen durchführen, da braucht man theoretisch keine Hände. Wobei: Mit so einer harten Prothese wie jetzt könnte ich nicht spielen. Wir entwickeln in Tobelbad aber einen Schutzkelch aus Silikon mit weichem Endteil. Im Ort ist Mario Haas Trainer, ich habe ihn schon gefragt, ob ich auf dem Fußballplatz trainieren kann. Für ein Mannschaftstraining ist es aber viel zu früh.

Welche Ziele haben Sie im Fußball noch?

SCHICKER: Mein Ziel ist, noch einmal Profifußball in der ersten oder zweiten Liga zu spielen. Aber ich habe keinen Stress. Dass ich keinen Verein finde, denke ich nicht. Und sollte ich es nicht schaffen, bricht meine Welt auch nicht zusammen.

Was reizt Sie so am Fußball?

SCHICKER: Ich spiele, seit ich sechs bin. Seit dem 15. Lebensjahr, seit der Zeit in der Stronach-Akademie, trainiere ich professionell. Ohne Fußball würden mir die Emotionen fehlen. Siege, Niederlagen, der ganze Teamspirit. Das fasziniert ja auch Tausende Amateurfußballer.

Und die Gedanken an die Zeit danach . . . ?

SCHICKER: Der Unfall ist sogar eine kleine "Hilfe" für mich. Ich mache die Trainerausbildung und kann mir vorstellen, dass ich einen guten Zugang zu Spielern finden kann. Vor allem zu denen mit Verletzungen. Aber das allein wäre mir zu riskant. Ich könnte auch irgendwo im Fußballmanagement als Berater arbeiten. Meinen erlernten Beruf als Computertechniker kann ich jedenfalls vergessen.

Wie hat sich das Verhältnis zu Familie und Freundin geändert?

SCHICKER: Du glaubst, du bist erwachsen und selbstständig - und plötzlich werden Familie und Freundin extrem wichtig. Ich war in den ersten Tagen nie allein, alle haben sich abgewechselt und mich bestens betreut. Die Eltern meiner Freundin in Ried haben einen besonderen Zugang: Sie haben vor 20 Jahren ein Mädchen aus Afghanistan mit Fußprothese adoptiert. Sie ist jetzt Studentin in Graz, ihr Rat war mir in den ersten Tagen sehr wichtig.

Andreas, haben Sie sich als Mensch verändert?

SCHICKER: Ich bin feinfühliger und vorsichtiger geworden. Beim Autofahren schaue ich zwei Mal in die Kreuzung, bevor ich losfahre. Ich bin froh, dass ich nur an den Händen und nicht an den Füßen verletzt bin. Überhaupt kann ich glücklich sein: Die Polizei hat den deutschen Hersteller des Böllers herausgefunden. Die waren verwundert, dass ich das überlebt habe.

Haben Sie Schuldgefühle?

SCHICKER: Mir war sehr wichtig, dass bei der Detonation kein anderer schwer verletzt wurde. Ein Strafverfahren läuft noch, ich werde wohl eine Verwaltungsstrafe bekommen. Ich habe einen Scheiß gemacht, und ich habe die Rechnung dafür präsentiert bekommen. Damit muss ich jetzt mein ganzes Leben lang klarkommen.