Die FIFA steht kurz vor ihrem Wahlkongress vor der größten Zerreißprobe ihrer skandalumtosten Geschichte, die sogar die Zukunft von FIFA-Chef Joseph Blatter plötzlich infrage stellen könnte. Nach einem dramatischen Tag in Zürich mit mehreren Festnahmen und Durchsuchungen in der Zentrale des Fußball-Weltverbandes wurden am Mittwoch elf aktuelle oder ehemalige Funktionäre provisorisch gesperrt.

Ex-FIFA-Vize Warner stellte sich

Der frühere FIFA-Vizepräsident Jack Warner stellte sich der Polizei in seinem Heimatland Trinidad und Tobago. Er soll bald gegen die Zahlung einer Kaution in Höhe von 2,5 Millionen Dollar auf freien Fuß gesetzt werden, wie örtliche Medien am Mittwoch berichteten.

Zunächst sei Warner aber noch in Gewahrsam geblieben, korrigierte die Zeitung "Trinidad Express" frühere Angaben. Der ehemalige FIFA-Funktionär müsse auch seinen Pass abgeben und sich zweimal pro Woche bei der Polizei melden. Der nächste Gerichtstermin findet im Juli statt.

Zuvor hatte das US-Justizministerium die Auslieferung Warners beantragt. Die Ermittler werfen ihm organisierte Kriminalität, Korruption und Geldwäsche vor. In den Vereinigten Staaten laufen seit längerer Zeit Untersuchungen des FBI gegen ehemalige FIFA-Offizielle. Am Mittwoch wurden in der Schweiz sieben Fußball-Funktionäre wegen Korruptionsvorwürfen festgenommen.

Blatter verteidigt Krisenmanagement

Während die Blatter-Gegner der UEFA nach einer Sondersitzung in Warschau eine Verschiebung des FIFA-Kongresses forderten, verteidigte Blatter in einem schriftlichen Statement sein Krisenmanagement. Eine Absage der Präsidentschaftswahlen am Freitag, bei der er für eine fünfte Amtszeit gewählt werden will, sind für den 79-Jährigen keine Option. "Das ist eine schwierige Zeit für den Fußball, die Fans und für die FIFA als Organisation. Wir haben Verständnis für die Enttäuschung, die viele zum Ausdruck gebracht haben...", wird Blatter in einem schriftlichen Statement der FIFA zitiert. "Solch ein Fehlverhalten hat kein Platz im Fußball", sagte der Schweizer.

"UEFA zeigt dieser FIFA die Rote Karte"

Seine europäischen Gegner haben die unverhoffte Gunst der Stunde offenbar erkannt und proben den Aufstand. Der Kongress samt Wahlen müsse um sechs Monate verschoben werden, hieß es in einem Statement unter der Überschrift "UEFA zeigt dieser FIFA die Rote Karte". "Die heutigen Vorfälle sind ein Desaster für die FIFA und beflecken das Image des Fußballs in seiner Ganzheit. Die Vorgänge zeigen, einmal mehr, dass Korruption in der FIFA-Kultur tief verwurzelt ist. Es ist notwendig, dass ein "Neustart" der kompletten FIFA erfolgt und eine echte Reform durchgeführt wird", hieß es im UEFA-Statement.

Es käme auch ein Boykott infrage. "Beim anstehenden FIFA-Kongress besteht die Gefahr einer Farce. Deshalb werden sich die europäischen Verbände genau überlegen müssen, ob sie überhaupt am Kongress teilnehmen sollen, um ein System zu verwarnen, welches - insofern es nicht gestoppt wird - den Fußball letztendlich töten wird", hieß es weiter.

Im Morgengrauen hatten Schweizer Sicherheitsbehörden unabhängig voneinander an zwei Orten in Zürich Ermittlungen wegen möglicher Vergehen innerhalb des FIFA-Apparats vorangetrieben. Und erneut kamen Beschuldigte aus dem engsten Machtzirkel um Blatter.

Im Hotel Baur au Lac wurden unter anderem die beiden FIFA-Vizepräsidenten Jeffrey Webb (Kaymaninseln) und Eugenio Figueredo (Uruguay) festgenommen, dazu die weiteren fünf Spitzenfunktionäre Jose Maria Marin (Brasilien), Eduardo Li (Costa Rica), Julio Rocha (Nicaragua), Rafael Esquivel (Venezuela) und Costas Takkas (Großbritannien). Gegen die drohende Abschiebung in die USA legten sechs der sieben Festgenommenen noch am Mittwoch Rechtsmittel ein, was zumindest aufschiebende Wirkung hat.

Bestechungsgelder

Ihnen werden organisiertes Verbrechen und Korruption vorgeworfen. Als Höchststrafe drohen in den USA 20 Jahre Haft. Insgesamt ermittelt das US-Justizministerium, das die Schweizer Behörden um Amtshilfe ersucht hatte, gegen 14 Personen. Sie sollen seit Anfang der 90er-Jahre Schmiergelder von mehr als 150 Millionen Dollar von Vermarktern für die Vergabe von Fußballturnieren erhalten haben. 110 Mio. Dollar sollen allein für Vermarktungsrechte für die Copa America 2016 in den USA geflossen sein. Bestechungsgelder sollen auch vor der WM-Vergabe an Südafrika 2010 gezahlt worden sein.

"Sie haben das weltweite Fußballgeschäft korrumpiert, um sich selbst zu bereichern", erklärte US-Justizministerin Loretta Lynch am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in New York. "Sie haben es immer und immer wieder gemacht. Jahr um Jahr, Turnier um Turnier." FBI-Direktor James Comey formulierte es drastisch: "Dieses so beliebte Spiel wurde gekidnappt."

Unabhängig von den US-Ermittlungen stellten Schweizer Behörden in der FIFA-Zentrale elektronische Daten und Dokumente sicher. Die zuständige Bundesstaatsanwaltschaft eröffnete ein Strafverfahren im Zusammenhang mit den WM-Vergaben an Russland 2018 und Katar 2022. Nach Behördenangaben geht es um den Verdacht der Geldwäsche. Bis zu zehn an der WM-Vergabe beteiligte Mitglieder des Exekutivkomitees sollen noch verhört werden.

Russland sieht sich als Gastgeber 2018 nicht belastet. Die betroffenen Funktionäre hätten "keine Beziehung" zu dem Turnier, sagte Sportminister Witali Mutko laut Agentur Interfax. Russland sei zur Zusammenarbeit mit den Behörden bereit. "Wir haben nichts zu verbergen." Auch bei der FIFA gibt es keine WM-Zweifel.

Im Sinne der Transparenz

Die WM-Ermittlungen gehen auf eine Strafanzeige der FIFA vom 18. November 2014 zurück. "Das Timing ist nicht das beste", räumte FIFA-Kommunikationschef Walter de Gregorio ein. Das Verfahren sei aber gut für die FIFA im Sinne der Transparenz. "Es ist gut, was heute passiert ist. Es tut weh, aber wir werden den Weg weiter gehen", meinte de Gregorio.

Der Kongress des Dachverbandes und die Wahl seines Präsidenten mit Blatter und seinem einzigen noch verbliebenen Herausforderer Prinz Ali bin al-Hussein soll durchgeführt werden. Ein Rücktritt Blatters sei kein Thema. "Warum soll er zurücktreten? Er wird nicht verdächtigt", so de Gregorio.

Aus dem Hauptquartier berichteten FIFA-Mitarbeiter von einer "extrem angespannten Stimmung". Blatter sagte alle seine Termine des Tages ab. "Er tanzt natürlich nicht in seinem Büro", bekannte de Gregorio. Auch bei einer Sitzung des südamerikanischen Verbandes CONMEBOL - aus dem mehrere Beschuldigte stammen - soll es eisig zugegangen sein. In dem Blatter freundlich gesonnenen Gremium gab es kritische Stimmen.

Herausforderer Al-Hussein forderte natürlich auch aus eigenem Interesse einen generellen Wandel: "Wir können so nicht weitermachen. Die Krise dauert an und ist nicht nur an die heutigen Ereignisse geknüpft. Die FIFA braucht eine Führung, die regiert, führt und unsere Verbände schützt."

Image- und Glaubwürdigkeitsproblem

ÖFB-Präsident Leo Windtner stimmte in den Chor jener ein, die auch personelle Konsequenzen fordern. "Die FIFA hat ein gewaltiges Image- und Glaubwürdigkeitsproblem. Und das lässt sich einfach nicht lösen, ohne dass man auch die Personen dort ablöst", erklärte Windtner in einem Interview mit dem ORF-TV-Sport.

Unter den insgesamt 14 Verdächtigen ist auch der frühere FIFA-Vizepräsident Jack Warner aus Trinidad und Tobago. Warner beteuerte indes in einer Stellungnahme seine Unschuld. Sein Name taucht im US-Bericht aber auch im Zusammenhang mit der WM 2010 auf. In den USA laufen seit längerem Untersuchungen des FBI gegen ihn und den ehemaligen US-Verbandschef Chuck Blazer. Beide wurden von der FIFA auch vorläufig gesperrt, obwohl sie lange kein Amt mehr ausüben.

Wie das US-Justizministerium erklärte, sollte am Mittwoch in Miami auch das Hauptquartier des nord- und mittelamerikanischen Dachverbandes CONCACAF durchsucht werden. Korruption sei weitverbreitet, systematisch und tief verwurzelt sowohl in den USA als auch im Ausland, erklärte Lynch. Bei der Beurteilung der WM-Vergabe 2018 und 2022 müsse die FIFA "tief in ihre Seele blicken".

Haftbefehl in Trinidad für Ex-FIFA-Vize Warner

Die Behörden von Trinidad und Tobago haben laut Medienberichten einen Haftbefehl für den früheren FIFA-Vizepräsidenten Jack Warner erhalten. Das US-Justizministerium habe die Auslieferung Warners beantragt, wurde der Staatsanwalt Garvin Nicholas am Mittwoch von der Zeitung "Trinidad Express" zitiert. Den Angaben zufolge wird der Antrag derzeit von der örtlichen Polizei geprüft.

Warner hatte nach den Festnahmen von sieben FIFA-Funktionären in Zürich in einem Fernsehinterview noch seine Unschuld beteuert. In den USA laufen seit längerer Zeit Untersuchungen des FBI gegen ehemalige FIFA-Offizielle. Der frühere US-Verbandschef Chuck Blazer und Warner gehören zu Beschuldigten in diversen Korruptionsverdachtsfällen.

Blazer bekannte sich bereits schuldig. Das US-Justizministerium beschuldigt insgesamt 14 Personen, darunter neun Fußball-Funktionäre, des organisierten Verbrechens und der Korruption.

Das UEFA-Statement zum FIFA-Skandal im Wortlaut

Nach dem FIFA-Skandal mit mehreren Festnahmen hat die UEFA eine Verschiebung des Kongresses des Fußball-Weltverbandes gefordert. In einem schriftlichen Statement wurde in teilweise deftiger Wortwahl auch ein Boykott der Präsidentschaftswahl am Freitag nicht ausgeschlossen.

Das UEFA-Statement im Wortlaut:

"UEFA zeigt dieser FIFA die Rote Karte"

"Die heutigen Vorfälle sind ein Desaster für die FIFA und beflecken das Image des Fußballs in seiner Ganzheit.

Die UEFA ist zutiefst erschüttert und betrübt.

Die Vorgänge zeigen, einmal mehr, dass Korruption in der FIFA-Kultur tief verwurzelt ist.

Es ist notwendig, dass ein "Neustart" der kompletten FIFA erfolgt und eine echte Reform durchgeführt wird.

Beim anstehenden FIFA-Kongress besteht die Gefahr einer Farce. Deshalb werden sich die europäischen Verbände genau überlegen müssen, ob sie überhaupt am Kongress teilnehmen sollen, um ein System zu verwarnen, welches - insofern es nicht gestoppt wird - den Fußball letztendlich töten wird.

Die UEFA-Mitgliedsverbände treffen sich morgen im Vorfeld des FIFA-Kongresses. Zu diesem Zeitpunkt werden die europäischen Verbände entscheiden, welche weiteren Schritte notwendig sind, um den Fußball zu beschützen.

Aktuell sind die Mitglieder des UEFA-Exekutivkomitees davon überzeugt, dass es zwingenden Bedarf für einen Führungswechsel in dieser FIFA gibt und dass der FIFA-Kongress verschoben werden sollte, um innerhalb der nächsten sechs Monate eine neuerliche FIFA-Präsidentschaftswahl zu organisieren."

Windtner glaubt unverändert an Blatter-Wahl

Der am Mittwochfrüh ausgebrochene Korruptionsskandal beim Fußball-Weltverband FIFA hat vorerst keine Programmänderung gebracht. Trotz der Enthüllungen und Festnahmen hoher FIFA-Funktionäre soll am Donnerstag (17.00 Uhr) der Kongress des Weltverbands eröffnet werden und am Freitag dann die Wahl des FIFA-Präsidenten erfolgen. Dafür gilt Amtsinhaber Joseph Blatter unverändert als hoher Favorit.

Die Europäische Fußball-Union (UEFA) hat am Mittwoch durch das in Warschau tagende Exekutivkomitee eine Verschiebung der Wahl gefordert, bisher aber erfolglos. Am Donnerstagvormittag ist in Zürich, dem Sitz der FIFA, ein weiteres UEFA-Meeting angesetzt, wo das weitere Vorgehen der Europäer diskutiert wird. "Da wird sicher das Thema intensiv behandelt. Wieweit es gelingt, dass Europa eine Verschiebung zusammenbringt, lasse ich dahingestellt", erklärte ÖFB-Präsident Leo Windtner in einem ORF-Interview mit der ZiB2 am Mittwochabend.

Die Zuversicht, dass das gelingt, scheint gering. Windtner glaubt eher, dass Blatter auch in den nächsten vier Jahren dem Weltverband vorstehen wird. "Nach jetzigem Stand der Dinge, wenn man sich umhört, ist es wahrscheinlich, dass die Wahl und der FIFA-Kongress wie geplant vonstattengehen. Da ist die Wahrscheinlichkeit, dass Blatter wiedergewählt wird, sehr groß", sagte der Oberösterreicher.

Ein Rücktritt von Blatter sei nicht zu erwarten, meinte Windtner. Dem Schweizer habe man "bisher persönlich nichts vorwerfen können", so der ÖFB-Boss, aber "dass er vielleicht übersehen hat, die notwendigen Schritte einzuleiten, liegt auf der Hand". Viele würden mit "Unbehagen" verfolgen, dass ein "großes Aufräumen bei der FIFA noch nicht durchgezogen worden ist." Doch außerhalb von Europa seien viele Verbände "Blatter sehr verbunden", weiß Windtner. Europa hat daher "keine Mehrheit, wir können vielleicht nicht einmal die Zweidrittelmehrheit brechen".

Ob der Skandal das Abstimmungsverhalten des österreichischen Verbands ändern wird, ließ Windtner offen. Der ÖFB hat sich festgelegt, Blatter nicht zu wählen, aber offengelassen, ob nun sein jordanischer Herausforderer Prinz Ali bin al-Hussein die österreichische Stimme bekommt oder sich der ÖFB der Stimme enthält.