Mattersburg anstelle von Red Bull Salzburg Meister? Eibar auf Kosten von Barcelona oder Real Madrid am Ende der Saison auf Platz eins? Carpi entthront Juventus Turin? Guingamp stoppt Paris Saint-Germain? Undenkbar, im Prinzip ausgeschlossen! Leicester wirtschaftet zwar grundsätzlich in einer anderen Preisklasse als die genannten Fußballzwerge, aber im Verhältnis zur englischen Konkurrenz ist der Vergleich mit solchen Leichtgewichten zulässig.

Im Ballungsraum der global bekanntesten und finanzkräftigsten Clubs, in der Liga mit dem weltweit größten TV-Geldvolumen stellte ein 1:5000-Außenseiter Giganten wie Manchester City, Manchester United, Liverpool oder Chelsea vor unlösbare Probleme. Auf eine solche Story wäre kein Drehbuchautor je gekommen. "Ich bin so glücklich und stolz, dass wir die Premier League gewonnen haben. Ein Traum ist wahr geworden", schrieb Fuchs auf Facebook. FIFA-Präsident Gianni Infantino sprach von einem "Märchen", das Realität wurde.

Von Christian Fuchs ging sogleich ein Handy-Video um die Welt: Arm in Arm standen Leicester Citys neue Fußball-Helden im Haus von Torjäger Jamie Vardy vor dem riesigen Flachbild-Fernseher. Als Schiedsrichter Marc Clattenburg die Partie zwischen Chelsea und Tottenham (2:2) am Montagabend abpfiff, kannte der Jubel des neuen englischen Meisters keine Grenzen mehr. Fuchs und seine Teamkollegen ließen ihren Emotionen freien Lauf.

Wie kleine Kinder fielen die Leicester-Profis übereinander her, schrien, kreischten und sprangen wild durcheinander. Die ausgelassene Freude war berechtigt, schließlich hatten Fuchs und seine Teamkollegen gerade eine der größten Sensationen im Weltfußball geschafft. Der 30-jährige Niederösterreicher zeigte auf Twitter und Facebook die Jubelszenen, sein Video wurde in kürzester Zeit zum großen Renner im Netz. "CHAMPIONS!!!", schrieb Fuchs voller Stolz dazu.

"Ich kann es noch gar nicht glauben. Wahrscheinlich werde ich es erst richtig realisieren, wenn ich den Pokal in die Höhe stemmen werde. Jetzt freue mich mal auf Samstag, wenn wir mit unseren Fans feiern werden können. Die Unterstützung über die ganze Saison war sowohl von den Fans in England als auch in Österreich unbeschreiblich", bedankte sich Fuchs am Dienstag.

"Ein unglaubliches Gefühl", schilderte auch Torjäger und Englands Nationalstürmer Vardy seine Emotionen nach dem Titelgewinn. "Ich habe so etwas bisher noch nicht gekannt. Wir haben letztes Jahr gerade noch den Klassenerhalt geschafft und werden nun am Samstag die Trophäe in die Höhe stemmen. Es ist der größte Erfolg in der Geschichte eines großen Vereins, und wir alle haben einen Teil dazu beigetragen."

Glückwünsche an das Team von Trainer Claudio Ranieri gab es auch vom geschlagenen Verfolger Tottenham. "Zuerst möchte ich Claudio und seine Spieler beglückwünschen. Sie haben eine unglaubliche Saison gespielt und den Titel verdient", sagte Trainer Mauricio Pochettino. Vor der Villa von Vardy versammelten sich Hunderte Fans und huldigten ihren Idolen. Auch rund um das King Power Stadium in Leicester und in den Pubs der Stadt feierten die Anhänger den ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte bis in die Morgenstunden.

Die Geschichte von Topscorer Vardy ist sowieso ein eigenes Kapitel: Der Engländer kickte vor wenigen Jahren in der achten Liga und musste sich bei den Stocksbridge Park Steels wegen einer Wirtshausschlägerei eine halbe Saison lang bereits nach einer Stunde auswechseln lassen, um seine elektronische Fußfessel rechtzeitig anlegen zu können. Nun fesselten der 29-Jährige und seine Teamkollegen mit ihren Leistungen Fans in aller Welt und degradierten die favorisierte Konkurrenz aus Manchester und London zu Statisten.

Der irische Chef-Scout Steve Walsh fungierte bei diesem Sensationscoup als Mastermind: Er holte Spieler aus der Versenkung, die von all den anderen Laptop-Strategen übersehen oder als zu wenig entwicklungsfähig eingestuft worden waren. Walsh entdeckte neben ablösefreien Routiniers wie Fuchs reihenweise Juwelen, unter ihnen Riyad Mahrez, den er dem französischen Zweitligisten Le Havre für 500.000 Euro abkaufte. Der 25-jährige Algerier ist inzwischen zum Spieler der Premier-League-Saison gewählt worden, für ihn werden in Kürze Angebote von 30 Millionen und mehr vorliegen.

Die sportliche Relevanz Leicesters war laut Papierform vor Saisonbeginn so gering, dass kein einziger Experte das Team der Abgeschobenen, Aussortierten und Unterschätzten im vergangenen Sommer für gut genug hielt, auch nur ansatzweise eine wichtige Rolle zu spielen. Der BBC-Fußballchef Phil McNulty hielt wie viele seiner Berufskollegen den Abstieg für wahrscheinlicher als einen Top-Ten-Platz.

Um die Dimension der Überraschung zu erfassen, ist womöglich ein weiterer Vergleich hilfreich: Die von Claudio Ranieri bevorzugte Startelf kostet zwölfmal weniger als jene von Manchester City - 28 Millionen Euro vs. 358 Millionen. Das Portal "Sporting Intelligence" und die Wirtschafts-Agentur "Bloomberg" platzierten den Hinweis, Manchester United habe während der zweijährigen Amtszeit des niederländischen Starttrainers Louis van Gaal (geschätzte 250 Millionen Pfund/umgerechnet 319,5 Mio. Euro) mehr investiert als der neue Titelträger in den gesamten 132 Jahren seiner Club-Geschichte.

In mehreren fundierten englischen Kommentaren wurde der grandiose Coup Leicester deshalb als "eine der größten Sportgeschichten aller Zeiten" gewürdigt. Sogar die in der Regel eher zurückhaltende BBC war sich diesmal ausnahmsweise mit den Schlagzeilenproduzenten der Boulevard-Zeitung "Sun" einig: "Leicesters Krönung ist die großartigste Fußballgeschichte aller Zeiten!"

Beim größten englischen Wettanbieter setzten exakt 47 scheinbar Ahnungslose auf den 1:5000-Außenseiter. Selbst die Entdeckung des Monsters von Loch Ness (1:500) oder die plötzliche Wiederkehr der 1977 verstorbenen Musiklegende Elvis (1:2000) hielten die Buchmacher für wahrscheinlicher als das "blaue Wunder" in der Premier League.

Der frühere Topstürmer Alan Shearer, 1995 mit Blackburn Meister, bevor sich bis zur Sensation von Leicester ausnahmslos Teams aus London und Manchester durchsetzten, ordnete den sagenhaften Triumph der "Foxes" ebenfalls als einzigartig ein: "Was ein Team wie Leicester schaffte, es nicht nur mit den reichen und erfahrenen Giganten aufzunehmen, sondern sie zu schlagen, ist das Beste, was im Fußball passieren kann."